Die 1920er Jahre haben Konjunktur: im Film, in Streaming-Serien und in Kriminalromanen. Doch warum sich mit Adaptionen zufriedengeben, wenn man zu einem Original greifen kann? Wilhelm Speyers Roman „Charlott etwas verrückt“, der Erfolgsroman des Jahres 1927, der schon im Winter 1927/28 in Nizza und im Berliner Phoebus-Film-Atelier verfilmt wurde, enthält viele wesentliche Ingredienzien der „Goldenen Zwanziger“: eine unkonventionelle, selbstbestimmte junge Frau, die im 120 PS-Automobil in schwindelerregendem Tempo über die Berliner AVUS saust, die sich von ihrem vermögenden Mann scheiden lässt, nur um dem Verdacht zu trotzen, sie habe ihn des Geldes wegen geheiratet, die in bizarre Liebeshändel und abenteuerliche Erbschaftsgeschichten verstrickt wird, die sie bis nach Paris und Russland führen, und die am Ende zu den Klängen von drei Jazzbands eine zweite Hochzeit feiert: witzig und originell, überschäumend und mitreißend. „Ein Buch wie Champagner!“, wie es 1927 völlig zu Recht auf dem Umschlag der Erstveröffentlichung des Ullstein-Verlags hieß.
Wilhelm Speyer
Charlott etwas verrückt
Mit einem Nachwort von Walter Fähnders und Helga Karrenbrock
2022
ISBN 978-3-8498-1845-6
268 Seiten
Klappenboschur
Wilhelm Speyer (1887-1952) war bis zur seiner Emigration 1933 ein sehr bekannter und vielgelesener Roman- und Jugendbuchautor. Er emigrierte zunächst nach Frankreich, 1940 in die U.S.A., wo er u.a. als Drehbuchautor für MGM arbeitete. 1947 erschien sein großer Exilroman „Das Glück der Andernachs“.
Leseprobe: lp-9783849818456.pdf
Aus der zeitgenössischen Kritik:
„Dieses Buch Wilhelm Speyers, im 120-Kilometer-Tempo startend, und in keinem geringeren durchs Ziel gehend, ist ein gelungenes und frisches Dokument unserer Zeit. ... ein amüsanter und nie ermüdender Rhythmus ..., dem wir uns, aufs beste unterhalten, bis zum Schluß willig überlassen.“
„Vossische Zeitung“, 5.6.1927
„Charlott fährt nicht unter neunzig – bei neunzig fängt sie erst an, lustig zu werden, schwatzt am Volant bunte Geschichten und träumt von dem, was sie nachher essen wird, „Hummer mit Ananasscheibchen“. ... Charlott etwas verrückt ist das Märchen und die Harlekinade unserer Zeit. Es gibt Wunder und herzerfrischende Ohrfeigen, es gibt neueste Technik und uralte Liebe – es gibt Suchen, Sehnen, eine Hochzeit mit drei Jazzbands, an der alle teilnehmen ...“
„Das Tagebuch“, 1927
„Amüsant und amoralisch wie die Welt, die wir nicht lieben, aber in der wir eben leben müssen. Charlott etwas verrückt. Und ihre Zeit auch.“
„Bücherwarte. Zeitschrift für sozialistische Buchkritik“, 1927
Erst jetzt (28.10.2022) ist uns eine Buchvorstellung unserer ersten Neuveröffentlichung von „Charlott etwas verrückt“ aus dem Jahr 2008 zur Kenntnis gekommen, die natürlich auch noch für die aktuelle Edition interessant und sehenswert ist: https://www.youtube.com/watch?v=yIkVgeWe7Q8
Stimmen zu unserer ersten Neuedition 2008:
[Der Roman] ist erstaunlich frisch geblieben. Fast mehr noch als seine Frische macht seine gelinde Fremdgewordenheit den Reiz des Wiederlesens aus. Ein bisschen wie Irmgard Keuns „Das kunstseidene Mädchen“, mehr aber noch wie Vicki Baums „Menschen im Hotel“ – nur überdrehter als alle zusammen kommt das Buch daher, das gleich damit beginnt, wie Charlott im Cabrio ziemlich verrückt über die Avus rast. Mit damals kaum vorstellbaren 130 Sachen! ... „Turbulent“ ist das Mindeste, was man [zur Handlung des Romans] sagen kann.
Erhard Schütz in der Rubrik „Wiedergelesen“ aus „Das Magazin“ (03/2008)
Was „Charlott“ so bemerkenswert und liebenswert macht? Die Leichtigkeit, Frische und Heiterkeit, die Speyer nicht nur seiner kleinen, gut 200 Seiten umfassenden Erzählung gegeben hat, sondern auch seinen Figuren, seiner Szenerie, seinem Berlin und seinem Paris. Das bohemistische Berlin der 1920er-Jahre ist selten so genau und ironisch geschildert wie in Speyers „Charlott“…
Walter Delabar in „literaturkritik.de“ (Januar 2008)
Vor schier unendlich vielen Jahren, nämlich 2008, hat der Literaturprofessor diesen Roman von 1927 wiedergelesen und befunden, dass er aufs Schönste das verkörpert, was in ihm „demokratischer Großstadtfrohsinn“ genannt wurde. Turbulent, heiter, voller Witz und wunderbaren Wendungen. Nun ist diese filmreife Jagd durch die mondänen Zwanzigerjahre wieder zu haben. Zugreifen!
Erhart Schütz in „Das Magazin“ (12/22)
[...] Charlott ist ein ungemein vitaler, heiterer und eben auch emanzipativer Roman. [...] Der Bielefelder Aisthesis Verlag hat die Charlott eben in einer Neuauflage, dieses Mal in einem schmökerfreundlichen Format, herausgegeben. Das Buch liegt also leicht in der Hand, lädt zur Lektüre unterm Sonnenschirm oder beim Nachtlicht ein, und bietet doch allerhand Bedenkenswertes und Bedenkliches über die gar nicht so leichtlebigen zwanziger Jahre.
Walter Delabar in „literaturkritik.de“ (Dezember 2022)
Zur vollständigen Rezension: https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=29330
Werbeflyer: 1845-charlott-eflyer.pdf