Von Georg Kaiser, einem in den zwanziger Jahren vielgespielten Bühnenautor, sind heute nur noch einige wenige, vor allem expressionistische Stücke bekannt. Viele Facetten der Modernität seines umfangreichen und vielseitigen Werkes bleiben so weitgehend unbeachtet. Ihnen spürt die vorliegende Studie nach, indem sie sich eines wichtigen Sujets in Kaisers Schaffen annimmt: der Liebe. Anhand ausgewählter Werke – den Dramen König Hahnrei, Der Brand im Opernhaus, Der Protagonist, Zweimal Oliver, Oktobertag, Rosamunde Floris und Alain und Elise sowie den beiden Romanen Es ist genug und Villa Aurea – zeigt die Autorin, welche Bedeutung die Liebe für einen Dichter gewinnt, der den Versuch unternimmt, vor die moderne Erfahrung einer sinnentleerten Welt zurückzukehren, und doch gleichzeitig um das sichere Scheitern eines solchen Unterfangens weiß. Mit dem Rückgriff auf die Autorität tradierter Vorstellungen über die Liebe, an denen seine Figuren ihr Leben formal ausrichten, bietet der kühle Konstrukteur Kaiser einen Ausweg an aus dem Dilemma der Notwendigkeit und der Unmöglichkeit einer Wiedergewinnung des Absoluten.
Stephanie Pietsch
„Noli me tangere“
Liebe als Notwendigkeit und Unmöglichkeit im Werk Georg Kaisers
2001
341 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-308-8
Stephanie Pietsch, Jahrgang 1969, hat Germanistik, Publizistik und Romanistik in Münster studiert. 1994 Magisterarbeit über Ingeborg Bachmanns Roman Malina. 1999 Promotion mit der vorliegenden Studie. Zur Zeit lebt sie als freie Lektorin in Leipzig.
Mit ihrer Monographie hat Pietsch einen wertvollen Beitrag zur Kaiserforschung geleistet. Durch ihr genaues Lesen und ihre werkimmanente Interpretation trägt sie zum besseren Verständnis der behandelten Dramen bei, beweist aber auch, warum sie in Vergessenheit geraten sind und nicht mehr aufgeführt werden. Ihre Auseinandersetzung mit literarischen Vorbildern und ihr Vergleich der einzelnen Stücke Kaisers mit Werken zeitgenössischer Schriftsteller wie Frank Wedekind, Carl Sternheim, Heinrich Mann und Ödön von Horvath zeigen ebenfalss, wie sehr sich Kaiser mit seiner Denkakrobatik von ihnen unterscheidet. Ein Personen- und Werkindex wäre für ihre Studie mit ihrem Reichtum an Quellen und Einsichten sehr erwünscht.
Ernst Schürer in „Monatshefte“ (Vol. 96, No. 2, 2004)