Der Orient gilt im Westen seit jeher als das Andere und Fremde. Er dient als exotische Gegenwelt und positiv gezeichnete Alternativkultur. Dieses Bild resultiert aus der Verflechtung politischer, ökonomischer und militärischer Ambitionen mit tradierten fantastischen Vorstellungen vom Morgenland. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts erlebt diese Faszination im Westen einen besonderen Höhepunkt. Denn die Beschäftigung und Bereisung des Orients wird zunehmend auch als Strategie genutzt, um gesellschaftliche Defiziterfahrungen in Europa zu bewältigen. Hier setzt die vorliegende Studie an und untersucht bisher kaum erforschte Reisetexte von Hermann Hesse, Armin T. Wegner und Annemarie Schwarzenbach. Der Blick konzentriert sich auf die Wahrnehmung und Darstellung von urbanen Zentren und ländlichen Regionen, der Ethnien und Glaubensgemeinschaften sowie auf das Verhältnis von traditionellem Leben und der rasanten Verwestlichung der Region. Darüber hinaus wird beleuchtet, welche Spuren die Erfahrungen der Orientreisen in Leben und Werk von Hesse, Wegner und Schwarzenbach hinterlassen haben: Wie vertragen sich Wirklichkeit und Projektion des Ostens als dem »Land der Wunder und des Reichtums«? Gelingt eine dauerhafte Verarbeitung des Modernisierungsprozesses? Was bleibt letztlich von den Reisen in den Orient?
Behrang Samsami
»Die Entzauberung des Ostens«
Der Orient bei Hesse, Wegner und Schwarzenbach
Moderne-Studien 7
2020 [als Print-Ausgabe: 2011: ISBN 978-3-89528-799-2]
ISBN 978-3-8498-1603-2
432 Seiten
E-Book (PDF-Datei), 5 MB
Behrang Samsami, geboren 1981 im Iran, studierte Neuere deutsche Literatur und Geschichtswissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er wurde dort 2009 mit der vorliegenden Studie promoviert.
Leseprobe: lp-9783895287992.pdf
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gerät der Orient stark in den Fokus der westlichen Welt. Ein vielfältiges Interesse herrscht für alles, was mit dieser Region zu tun hat. So zieht sie die Aufmerksamkeit nicht nur infolge tradierter fantastischer Vorstellungen auf sich. Anteil an dieser Faszination haben auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, die den Orient als „Wiege der Menschheit“ und „Märchenland von Tausendundeiner Nacht“ vermehrt in das Blickfeld rücken. Doch sind es im Zeitalter des Imperialismus und Kolonialismus ebenfalls der Reichtum an Rohstoffen verbunden mit seinem politischen, wirtschaftlichen und militärischen Rückstand zum Westen, was den Orient für westliche Großmächte so attraktiv macht.
Zeitgleich setzen sich westliche Intellektuelle intensiv mit den Kulturen und Religionen, Philosophien und Literaturen des Orients auseinander. Angesichts der rasanten gesellschaftlichen Veränderungen infolge der Industrialisierung und Modernisierung in der westlichen Welt wird der Osten von ihnen als ursprünglich, statisch und harmonisch empfunden. Und so kann die Beschäftigung und Bereisung des Orients einer Vielzahl von Philosophen, Schriftstellern und Künstlern in geradezu idealtypischer Weise scheinbar eine der Zeit entrückte Gegenwelt der Einfachheit und Ruhe, Übersichtlichkeit und Stabilität bieten. Die persönliche Erfahrung des Ostens wird also nicht zuletzt auch als Strategie angesehen, um vielfältige Defiziterfahrungen zu bewältigen.
Die vorliegende Studie setzt an dieser Stelle an und untersucht bisher kaum erforschte, authentische und fiktive Reisetexte von Hermann Hesse (1877-1962), Armin T. Wegner (1886-1978) und Annemarie Schwarzenbach (1908-1942). Analysiert wird ihre Wahrnehmung und die Darstellung von urbanen Zentren und ländlichen Regionen, von einheimischen Völkern und Glaubensgemeinschaften sowie der aus dem Westen stammenden Kaufleute und Militärs, Emigranten und Abenteurer, Wissenschaftler und „Aussteiger“. Ein besonderes Augenmerk wird in diesem Zusammenhang auf das Verhältnis von traditionellem Leben und der rasanten Verwestlichung dieser Region geworfen. Schließlich wird beleuchtet, wie sich die Orientreisen jeweils auf das Leben und Werk der drei hier ausgewählten Schriftsteller auswirken beziehungsweise wie ihr Fazit letztendlich ausfällt.
Redaktionelle Vorstellung in „literaturkritik.de“ (1/2011)
Samsami [ist es] gelungen, die Lebensläufe der Autoren und deren Erlebnisse im Osten sowie die Wirkung der Reisen auf ihre Werke detailliert herauszuarbeiten. Der Kerngedanke in Samsamis Forschungsarbeit lässt sich auch mit den Worten von Hermann Graf Keyserling zusammenfassen: Der kürzeste Weg zu sich selbst führt rund um die Welt. Wer mehr über die Entdeckungsreise in die Persönlichkeit der Autoren wissen möchte, für den ist die Arbeit von Behrang Samsami empfehlenswert.
Raisa Manchanda in „German Studies in India“ (Sommer 2012)
[...] Die Ergebnisse der äußerst sorgfältig durchgeführten Studie werden in einem Nachwort (S. 367–372) zusammengefasst: Samsamis Analysen zeigen, dass die Reiseberichte nicht nur Eindrücke vom Fremden vermitteln, sondern auch Zeugnis von der Entstehungszeit der Werke selbst und den Stimmungen der jeweiligen Epochen ablegen. Deshalb liegt m. E. ein besonderer Wert der Studie darin, dass Samsami eindrücklich herausarbeitet, in welcher Art und Weise Hesse, Wegner und Schwarzenbach durch das in ihren Zeiten vorherrschende imperialistische und kolonialistische Denken vorgeprägt waren, was sich in ihren Einstellungen, (Vor-)Urteilen, Bildern und in ihrem Vokabular zeigt. [...]
Doris Decker in „ASIEN. The German Journal of Asia“ (Januar 2014)
[...] Es ist [dem Autor] gelungen, ein überaus informatives und inhaltsreiches Werk in verständlicher Sprache zu verfassen. [...] Es ist ein dezidiert wichtiges und nützliches Werk, dass viele Leser ansprechen wird.
Elzbietta Antonchewicz in „Germanica Wratislaviensia“ (140, 2015)
Moderne-Studien 7