Aus der Kritik |
Tolldrastische, tolldreiste Dramen kennt die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts viele: Zaubermärchen, dröhnende Historienspektakel oder Mysterienspiele wie „Faust II“. Das allerverrückteste Stück aber ist „Der Cid“, den Christian Dietrich Grabbe 1835 verfasste. Die grosse (Sprech-)Oper „in 2 bis 5 Akten“ um den spanischen Helden und sein geliebtes Fräulein Chimene zählt keine dreissig Seiten und ist doch das aufwendigste Drama der Weltliteratur mit gewaltigen Schauplätzen und circa einer Million Komparsen. Neben den historischen Gestalten treten Zeitgenossen Grabbes auf, wie Platen oder der Historiker Friedrich von Raumer, Elefanten oder sprechende Schafe, dazu eine Katze, die aber nicht mitspielen will, und am Ende sogar das Publikum. Es gibt gewaltige Schlachten, schockierende Erotik und grottenblöde Verse. Gern fallen die Schauspieler aus der Rolle, und „ein Rezensent“ meldet sich auch gleich zu Wort: „Mir wird so wohl, mir wird so dumm / Als wärn mir tausend Säu im Kopf herum.“ Wer in diesem Endspiel ohne Ende die halbe Moderne vorweggenommen sieht, liegt wohl nicht falsch. Expressionismus, Surrealismus, König Ubu und das Absurde Theater – alles drin, wie Kurt Jauslin meint, einer der Kommentatoren dieser engagierten Neuausgabe: „Wo immer die Pioniere der modernen Literatur zu neuen Ufern vorstiessen, fanden sie im Sand die Fussspur schon vor, deren leicht schwankendes Schrittmass ihnen signalisierte: Grabbe was here.“ 2002 hat die bayerische Hofkunst Loipfing eine Aufführung gewagt (DVD liegt bei). All unseren lieben Staats- und Stadttheatern, die ja ohnehin nicht mehr wissen, was sie noch spielen sollen, sei Grabbes unendlicher Spass aufs Heftigste ans Herz gelegt.
Benedikt Erenz in „DIE ZEIT“ (27.08.2009)
Grosse Oper im Saustall
Im Juli 2002 hat die bayerische Theaterwelt etwas Revolutionäres auf die Beine gestellt, ohne dass es viele registriert haben. In dem Weiler Loipfing im Landkreis Erding lief die erste Welturaufführung einer Oper in einem herkömmlichen Saustall. Das war das erste Kuriosum, und das zweite war, dass diese Premiere eine Oper des seltsamen Autors Christian Dietrich Grabbe (1801-36) betraf. „Der Cid“ heisst das Werk, das bis dahin als unaufführbar galt und deshalb fast zwei Jahrhunderte in entlegenen Schubläden vergilbte. Peter Kleinschmidt, der ehemalige Leiter der Otto-Falckenberg-Schule, aber nahm zusammen mit seiner Frau Wiebke diese Herausforderung an und verwirklichte mit ein paar Schauspielern die erste Aufführung des „Cid“ in dem zum Theater umfunktionierten Schweinestall seines Anwesens. „Wenn Sie mit so einem Text an einem normalen Theater auftauchen, sind Sie nach fünf Minuten wieder draussen“, sagte Kleinschmidt damals. Indessen, wer das Glück hatte, einer der Aufführungen zu erleben, der bekam eine Vorstellung davon, wie viel Energie in diesem Stück steckt, das längst in die grossen Theater gehört, wie jüngst das Zeit-Feuilleton anmerkte.
Basierend auf dem Wagnis in Loipfing, liegt nun endlich die erste Edition des Textes vor, ergänzt durch literaturwissenschaftliche Beiträge über Grabbe, jenen pessimistischen und alkoholverhangenen Dramatiker des Vormärz. Das Schönste aber ist, dass die Aufführung der Hofkunst Loipfing als DVD beigelegt ist, sodass man sich diese avantgardistische Opernparodie nun sogar im eigenen Wohnzimmer zu Gemüte führen kann.
Der Zuschauer erlebt sechs Akteure, die über die Bühne jagen und irrwitzige Requisiten verschieben. Neben den Helden Cid und Chimene stehen Pferde, Hohlköpfe und Leichen, und einmal spielt einer sogar ein ganzes kastilisches Heer. Die Musik wird von einer Jukebox eingespielt: kalt, künstlich und absurd. Wahrlich, es ist eine Oper ohne Handlung, ohne Botschaft, aber es ist pures Theater. Wer Grabbe entdecken will, jenen Verrückten, den manche gar auf eine Stufe mit Kleist und Büchner stellen, der liegt hier goldrichtig.
hak. in „Süddeutsche Zeitung“ (6. Oktober 2009)
[...] Auch der völlig unvorbereitete Leser dürfte den anarchischen Witz der Parodie auf den Theater- und Opernbetrieb der Zeit geniessen. [...] Wer die Anspielungen und Hintergründe verstehen will, findet Erhellendes in den Aufsätzen der Literaturwissenschaftler Maria Porrmann und Kurt Jauslin. [...] Die beigefügte DVD lädt zum sinnlichen Erleben ein [...]: Sechs spielfreudige Darsteller stemmen das 75-minütige Stück mit viel Spass am Absurden. [...] Das Publikum amüsiert sich hörbar gut.
Anke Groenewold in „Neue Westfälische“ (3.11.2009)
[...] Hier wird Christian Dietrich Grabbes Opernparodie „Der Cid“ von 1835 neu ediert, auf sehr hilfreiche und anregende Weisen kommentiert und auf DVD einem an ironischer Metareflexivität und Parodie interessierten modernen Publikum präsentiert. [...]
Margaret A. Rose in „Literatur und Recht im Vormärz. Jahrbuch 2009 des Forum Vormärz Forschung“ (2010)
|