Diese fünf Essays zeigen an den Schicksalen Lessings und Goethes, Freuds, Thomas Manns und Gottfried Benns, welche Spur die Väter in ihrem Werk hinterlassen haben. Dabei wird deutlich, dass sich auch in ihrem aufgeklärten Denken die verborgenen theologischen Grundmuster dieser prägenden Bindung ungebrochen erhalten haben. Noch in Trauer und Zorn, in Identitätssuche und Ablösung spiegelt sich ein alt gewordenes Gedächnisbild, die unlöschbare "Mitschrift" einer metaphysischen Figur.
Peter Schünemann
Spur des Vaters
Fünf Essays
Aisthesis ESSAY Bd. 13
2001
71 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-331-2
Peter Schünemann, geb.1930, lebt als freier Schriftsteller in Norddeutschland. Publikationen: Monographien über Benn, Georg Heym, Trakl und Robert Walser; Erzählungen über Büchner (Zwieland), Hölderlin (Der Magister), Rimbaud (Der Handelsagent) und Kleist (Die Nacht); Gegengedächtnis (Neun Erzählungen), Zenons Spur (Novelle). Herausgeber der Anthologien Erzählte Welt, Jüdisches Erzählen, Lauter Abschiede und Unwandelbar G. Eine Lesebuch zu Goethes Leben. Der Autor ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
[...] Peter Schünemann hat sein Netz in unpolemischer Distanz zur Psychoanalyse geknüpft. In origineller Kombination von Philologie und Theologie nimmt er die Väter in den Werken der Söhne in den Blick. Bei uns ist dieser Typ Buch viel zu selten: gelehrt, aber ohne Fußnoten, anspruchsvoll, ohne prätentiös zu sein, von respektloser Knappheit.
lmue in der "Süddeutsche Zeitung" vom 21.08.2001
"Der Schatten dieses Vaters reichte sehr weit" – was hier über das lebenslange Verhältnis Johann Wolfgangs zu Johann Caspar Goethe gesagt ist, könnte als Motto über jedem Essay dieses Bändchens stehen. Dabei resümiert dieser Satz keineswegs eine Trivialität. Denn der Ausgangspunkt für jedes dieser fünf Schriftsteller-Porträts ist nicht einfach die Gestalt eines Vaters, sondern sein Tod, der hier immer zugleich der – imaginäre, befürchtete oder ersehnte – Tod des Vater-Gottes ist. Vom Pastorensohn Lessing bis zum Pastorensohn Benn, von Goethe bis zu Freud und Thomas Mann, jedesmal geht es um diesen Tod und um seinen langen Schatten im literarischen Werk. Es geht um den kühlen Luftzug der Emanzipation und die Hitze archaischer Angst vor der Verlorenheit, um die Ambivalenz von metaphysischer Freiheit und Melancholie. Und es geht um die Wiederholung dieser Ambivalenz in einer Kunst, die auf sie antworten soll: halb Kompensation, halb Kapitulation. Weil der so verstandene Tod "des Vaters" niemals ganz endet, folgt jeder dieser Essays der Linie eines Vater-Todes als einer Lebenslinie: den ineinander verschränkten Lebens- und Sterbensläufen der Väter und Söhne.
So unterschiedliche Gestalten auf diese metaphysischen Kampfplatz erscheinen, so ähnlich sind die Grundkonstellationen ihrer Kämpfe. Da ist der ungläubige Jude Freud, der sich lebenslang an der vom Vater erhaltenen Hausbibel abarbeitet: Am Ende des "Identifikationszwangs", der ihn lebenslang an den Mann Moses bindet, steht die Angst vor dem Scheitern; der Weg ins Licht eines aufgeklärten Landes endet mit dem angstvollen Blick in die Dämmerung. Und da ist Thomas Mann, der den umgekehrten Weg gehen will, von der Imitatio des toten Vaters zu irdischen und himmlischen Ersatzgestalten, auf der "Suche nach einem allumfassenden Vaterbild". Wie Schünemann diese Suche enden läßt in Leverkühns Apokalypse als einem "Untergang des väterlich tradierten Kosmos" und wie er dann mit einer knappen Bewegung den Bogen zurückschlägt zur nun unheimlich zweideutigen Testamentsnotiz des Lübecker Senators, sein Sohn Thomas werde ihn beweinen: Das läßt in einem Blitzschein ein Lebensdrama aufleuchten.
Von den Essaybänden des heute zweiundsiebzigjährigen Autors ist dies der schmalste; es dürfte auch der am dichtesten gearbeitete sein. Auf engstem Raum kondensiert Schünemann eine Fülle an biographischem, literarischem, psychologischem Wissen, streng und in kühlem Pathos. In seiner Dunkelkammer entwickelt er vor unseren Augen fünf Porträtbilder von beträchtlicher Tiefenschärfe, Varianten jener Epochenerfahrung, die der Held eines seiner früheren Erzähl-Essays lapidar resümiert hat. Die "Spur des Vaters" – sie führt geradewegs in Georg Trakls "namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht".
Heinrich Detering in "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (15.02.2002)
[...] zuletzt [hat] der schmale und entdeckungsreiche Essayband „Spur des Vaters“ Aufmerksamkeit gefunden. [...]
Heinrich Detering in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (03.12.2005)
Aisthesis ESSAY