bilder also fragen fragen also bilder? aber weil wir uns so schwer damit tun zu sagen dies ist das und damit basta
weil wir ja sehr wohl wissen es könnte auch anders sein
und anderes könnte sein wie…retten wir uns in fragen ohne antworterwartung in fragen die uns wie bilder dünken
was sollte eine antwort ihnen hinzufügen oder nehmen?
tag für tag der weg durch die hierarchien der bilder
sieh alle als gleichwertig an
jedes bild ist gleichgültig gegen sein abgebildetes
können wir uns denn anders gegen die gewalt der bilder wehren als durch anästhesie des herzens?
(du weißt: du magst schreiben was du willst gegen die bilder bist du machtlos)
die zeiten der bilder sind im zeitalter der bilder vergangen
du sollst dir kein bild vom bild machen
zu bildern geschichten erfinden & zu geschichten bilder
so schlagen wir uns durchs medienleben also durch die unvermeidlichkeit
wir könnten auch innehalten – aber wohin?
dass aber die bilder genau der ort sind der zwischen den dingen und dem erleben oder der welt und dem ich liegt
also nirgendwohin gehört
das bild ist die gegenstand gewordene art des sehens
die bildgewordenen gegenstände überdauern
jedes bild könnte auch anders sein
bilder haben kein geheimnis. entweder sie bringen dich zum erzählen oder nicht. wer sollte dir dann klug reinreden wollen. hüte dich vor den erklärern und deutern. ein bild ist ein bild und eine rede ist eine rede. wer nur ist auf die idee gekommen, die beiden hätten etwas miteinander zu tun?
wir können bildgläubig sein oder bildungläubig aber wir können sie nicht über sehen
augen bilder augen fallen
jedes bild segelt an den windstillen vorbei
Siegfried J. Schmidt
an den windstillen vorbei
Bücher der Nyland-Stiftung, Köln
Herausgegeben von Walter Gödden
Neue westfälische Literatur, Bd. 16
2010
ISBN 978-3-89528-802-9
86 Seiten, 40 farb. Abb.
kartoniert
Leseprobe: 9783895288029.pdf
Erdbeben, Tsunami und atomare Verseuchung: Die dreifache Katastrophe von Japan produziert auch eine gigantische Fülle von Bildern. Wenig verwunderlich, laufen Katastrophen heute doch in Echtzeit vor den allzeit aufnahmebereiten digitalen Kameras, Handys und Fotoapparaten ab. Und obwohl sich die Bilder längst tief eingebrannt haben in unsere Köpfe, werden sie in Endlosschleifen auf allen medialen Ausgabekanälen auch noch permanent wiederholt. Ein gigantisches Bilder-Dauerfeuer in einer ohnehin schon Bilderüberladenen Welt. Ein Thema, mit dem sich der Autor Siegfried J. Schmidt, der sich der visuellen und konzeptionellen Dichtkunst verschrieben hat, in seinem kürzlich im Bielefelder Aisthesis Verlag erschienenen Band unter dem Titel „an den windstillen vorbei“ in experimentellen Texten, Collagen und Zeichnungen auseinandersetzt. Schmidt, der von 1971 bis 1979 als Professor für Theorie der Literatur an der Bielefelder Uni und später in Siegen und Münster lehrte, fragt in seinem Buch: „können wir uns denn anders gegen die gewalt der bilder wehren als durch die anästhesie des herzens?“ Eine treffende Frage, die man sofort bejahen möchte, denn wer kann diese Bilderfluten noch bewältigen, aushalten, oder gar noch tief an sich heranlassen. Folgt nicht die Abstumpfung notwendigerweise auf dem Fuße – aus Selbst-Schutz vor dieser gigantischen Bilderwelt? Beinahe resignierend fragt Schmidt daher: „zu bildern geschichten erfinden & zu geschichten bilder / so schlagen wir uns durchs medienleben / also durch die unvermeidlichkeit / wir könnten auch innehalten – aber wohin?“ Könnten wir wirklich innehalten – selbst wenn wir wollten? Schmidt wirft Fragen auf. „kann auch das leiden geschwätzig werden? / schreiben bilder der gewissheit hinterher? / führt betroffenheit zum wiedererkennen?“ Und bietet Texte als Antworten an, die sich dem schnellen Konsum verweigern, Dechiffrierleistungen erfordern, neugierige Leser brauchen, die Lust haben, auf die Auseinandersetzung mit dieser eher hermetischen Welt. Die sich aber auch selbst wiederum Bildern bedient, denn Schmidt collagiert aus Bildern, Zeichnungen und Textfragmenten neue eigene Welten, die ein anderes, ein genaueres Sehen erfordern und dieses so auch wiederum schulen. Angesichts des allgegenwärtigen Bilder-Dauerfeuers sicherlich eine zusätzliche bildliche Herausforderung – aber eine lohnende. Denn auch der Bilder-Skeptiker Schmidt formuliert am Ende dies: „was sollen wir also von den bildern halten? wir können anmaßend sein und demütig / wir können sie in unser leben verstricken / oder unser leben an sie ausliefern / wir können bildgläubig sein oder bildungsgläubig / aber wir können sie nicht über sehen / augen bilder augen fallen / jedes bild segelt an den windstillen vorbei“.
Stefan Brams in „Neue Westfälische“ (1.4.2011)
Neue westfälische Literatur, Bd. 16