Während der Kultur- und Literaturbetrieb der Weimarer Republik als spannendes Laboratorium der postexpressionistischen Moderne gilt, erscheint der Blick auf die österreichische Situation der Ersten Republik (1918-34/38) nach wie vor selektiv vom Beziehungsfeld Provinz-Habsburgischer Mythos oder von einigen wenigen herausragenden Einzelgestalten, die unter anderem in Berlin lebten und wirkten, bestimmt. Und wie es an einer systematischen Sozialgeschichte der Literatur, einer Kontextualisierung von literarischen Texten in die ästhetischen wie politisch-sozialen Debatten der Zeit (z.B. Moderne-Antimoderne, Experiment-Form, Inflation und Wertediskussion, Demokratie-Faschismus, Nationalismus-Antisemitismus, Individuum-Masse, Rotes Wien-Weiße Provinz) mangelt, so mangelt es erst recht an kultur- und mediengeschichtlich ausgerichteten Aufrissen, etwa an Auseinandersetzungen mit Erfahrungen der Medialisierung der Kultur, der Inszenierungs- und Repräsentationsformen in der Öffentlichkeit, an der Verbindung zwischen moderner Wissenschaft und Genderreflexionen.
Der vorliegende Band versucht anhand kanonischer, aber auch weniger bekannter Stimmen, anhand interdisziplinärer Ansätze und Methoden sowie exemplarisch mögliche Umrisse eines der kulturell-literarischen Dynamik und Vielfalt angemessenen Epochenprofils zu skizzieren. Das Spektrum umfasst AutorInnen wie H. Bahr, M. Hartwig, H. v. Hofmannsthal, E. Hoeflich, K. Kraus, R. Musil, A. Schnitzler, J. Weinheber u.a.; es behandelt Themen wie Umbruch/Revolution und Konservative Revolution, Jugend, Mode und Textarbeit, Hysteriediskurse, Fremdheit und lyrischer Ausdruck, Jazzromane und Schriftsteller als Cineasten.
Primus-Heinz Kucher (Hg.)
Literatur und Kultur im Österreich der Zwanziger Jahre
Vorschläge zu einem transdisziplinären Epochenprofil
2007
ISBN 978-3-89528-582-0
269 Seiten
kartoniert
Primus-Heinz Kucher lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Universität Klagenfurt mit Schwerpunkten im 19. und 20. Jhdt., Exil- und Immigrationsliteratur, Jüdische Literatur in Mitteleuropa, Literarische Übersetzung, Rezeption und Beziehungen. Neuere Buchpublikationen: „In die Mulde meiner Stummheit leg ein Wort“. Interpretationen zur Lyrik Ingeborg Bachmanns (MitHg. 2000); Charles Sealsfield: Dokumente zur Rezeptionsgeschichte (SW, Bd. 31, 2002); Verspätete/Ungleichzeitige Moderne. Prosaformen in der österreichischen Literatur 1820-1880 (2002); Alfredo Bauer: Anders als die anderen. 2000 Jahre jüdisches Schicksal. Eine Szenenfolge (Hg., 2004); Adolf v. Tschabuschnigg. Literatur und Politik zwischen Vormärz und Neoabsolutismus (2006); Co-Koordinator von www.literaturepochen.at/exil; Aufsätze über AutorInnen von J. Améry bis H. Zur Mühlen.
[...] die vorliegenden Akten [...] enthalten [...] mehr als „Vorschläge zu einem transdisziplinären Epochenprofil“, wie der Untertitel bescheiden ankündigt. [...]
Kurt Bartsch in „literaturhaus.at“ (14.8.2007)
Vollständig: http://literaturhaus.at/buch/fachbuch/rez/Kucher/index.html
[...] this volume represents a significant advance in scholarship on the culture of the First Republic and should spark renewed interest in the period.
H. Herzog in „German Quarterly“ (3/2008)
[...] Gelungen ist in jedem Fall, der „Simplifizierungstendenz“ (Kucher) entgegenzutreten und Anstöße zu geben, Literaturgeschichte(n) gegen den Strich zu lesen.
Susanne Blumesberger in „Modern Austrian Literature“ (September 2008)
|
|
|