vergriffen
Zitate sind mehr als bloße Übernahmen aus zweiter Hand, die als Belegstellen für Sicherheit beim Lesen und Schreiben sorgen sollen, einer herbeizitierten Autorität Referenz erweisen oder als Kennzeichen von Intertextualität interpretierbar sind. Zitate müssen vielmehr als ausdrückliche Aufforderung verstanden werden, von den Voraussetzungen und Vorschriften des Lesens und Schreibens zu sprechen. Wie an keiner anderen Redefigur lassen sich an ihnen die Vorgaben beobachten, nach denen in literarischen wie literaturtheoretischen Texten an Texte und in Diskursen an Diskurse angeschlossen wird. Das Zitat dabei nicht länger nur als einen „fremden Bestandteil der eigenen Rede“ zu betrachten, rückt das Zitieren als einen Prozeß in den Blick – einen Prozeß der Bezugnahme, der Texte ins Verhältnis zueinander setzt und so überhaupt erst ein Weiterlesen und Weiterschreiben möglich macht.
„Texte zum Zitieren“, u.a. zu den Themen: Handschrift und Gegenzeichnung, das Eigene und das Fremde, Philologie und Anschlußfähigkeit, Zettelkasten und Bibliothekswesen, Tradition und Autorität, Wiederholung und Rechtsprechung, Fehlerinnerung und Pseudo-Zitate, Widerspenstigkeit und Autorinnenschaft, Urheberrecht und Inszenierung, Selbstzitat und Ghostwriting, gespenstische Wiederkehr und vergängliche Gegenwart, Adressierung und Unzustellbarkeit, Anführungszeichen und ihre Geschichte.
Volker Pantenburg / Nils Plath (Hgg.)
Anführen – Vorführen – Aufführen
Texte zum Zitieren
2002
291 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-352-5
Wie winzig sie sind, diese Häkchen und Striche, hauchdünne Spuren, die das Fremde vom Eigenen abgrenzen. Nicht von ungefähr heißen sie im Deutsehen auch Gänsefüßchen – als wären sie kleine Tapser, die der Geist hinterlässt, wenn er Ordnung in den Haufen der Gedanken zu bringen sucht. Paul Valery hat sie entsprechend als Ordnungshüter beschrieben: „So stelle ich ein Wort zwischen Anführungszeichen wie zwischen zwei Polizeibeamte, die es nicht alles das machen lassen, was es will.“
Wer eine Geschichte der Anführungszeichen schreiben will, verrät uns Volker Pantenburg in einem kleinen, anregenden Aufsatz, der muss auseinander driftenden Spuren nachgehen. Scholastische Denker wie Petrus Lombardus etwa benutzten solche Satzzeichen, um verschiedene Textebenen unterscheiden zu können und die Lektüre zu erleichtern. Der französische Ausdruck „guillemets“ wiederum gewinnt mit Anbruch der Gutenberg-Ära an Bedeutung, meint also ursprünglich ein drucktechnisches Verfahren, während das englische Wort „quotation marks“ auf juristische und merkantile Funktionen des Zitierens hinweist: auf den Begriff des geistigen Eigentums oder „die preisliche Notierung eines Autoren an der virtuellen Wissenschaftsbörse“.
Wirklich zufrieden scheint Pantenburg mit den abgetasteten Spuren freilich nicht zu sein. Er bezweifelt, dass sich Eigenes und Fremdes so deutlich trennen lassen, wie die Anführungszeichen es behaupten. Selber ganz Textjongleur, wünscht er sich lieber den Sprach-DJ, der um die Verkettung der Worte weiß und seine Zitate wie Platten abmischt: „Spannend daran sind jene Momente, in denen nicht klar auszumachen ist, welches Versatzstück welcher Quelle entstammt. In denen das Zitat seine An- und Abführungszeichen verliert.“
‚nibl‘ in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 17./18.8.2002
Wie kaum eine andere ist das Zitieren eine Operation, über die sich wissenschaftliche Texte herstellen und legitimieren. Indem, wie in diesem Sammelband, der Prozeß des Zitierens als solcher in den Blick genommen wird, öffnet sich ein Feld, auf dem zahlreiche konventionelle Grenzziehungen und Wegmarken ihre vermeintlich selbstverständliche Geltung verlieren. […] Es ist ein Vorzug des Bandes, diese Fragen durch die Vielfalt der Zugangsweisen zum Zitieren, die sich in den einzelnen in ihm versammelten Aufsätzen dokumentiert, aufzuwerfen. […] In vielen der versammelten Aufsätze hat Derrida, der wohl insgesamt am häufigsten herbeizitierte Name, das erste und/oder das letzte Wort. [...] insgesamt ausgesprochen instruktiv.
Doerte Bischoff in „Weimarer Beiträge“ (1/2004)