Aus der Kritik |
Aus der Kritik zur 1. Auflage von 2002:
Peper [...] ist Komparatist aus Überzeugung – was seinem Buch eine bemerkenswerte literarhistorische Kenntnisbreite gibt. Er hat außerdem – als unersättlicher Leser – eine Vielzahl zeitgenössischer Theorien absorbiert und in seine Geschichte eingearbeitet. […]
Nachdem mit Kant die Kopernikanische Wende vollzogen und in der Romantik die Möglichkeit menschlicher Erkenntnis ein für alle Mal ins Subjekt verlagert wurde, vollzieht sich die Suche nach Wahrheit zwangsläufig […] in immer neuen experimentellen Aus- und Einklammerungen der kontrollierenden Vernunft und ihrer lebenspraktischen Prinzipien. Dies geschieht auf jeweils verschiedene Weise neben- und nacheinander in den Werken des Realismus, des Ästhetizismus und Naturalismus, des Modernismus und der Postmoderne. (Eines der vielen Verdienste des Peperschen Ansatzes ist der Nachweis, wie dialektisch die mit diesen Begriffen bezeichneten Phänomene einander bedingen und ineinander verwoben sind.) [...]
Peper beschreibt die experimentelle Suche nach dem mental unverstellten Zugang zur Dingwelt durch fortschreitendes Ein(Aus)-klammern mentaler Kontrolle in konkreten, einleuchtend-eindringlichen Textanalysen (aus Prosa und Lyrik, Malerei und Musik), die überdies zeigen, wie Kunst und Literatur, ihrer Kultur gleichsam vorauseilend, kulturgeschichtliche Entwicklungen avantgardistisch vorwegnehmen. [...]
‚Ästhetisierung‘ ist die kritische Selbstreflexion des Bewusstseins auf die Bedingungen seines Erkennens. Insofern geht es Peper nicht um demokratische Ästhetik – vielmehr verfügt das Ästhetische selbst über demokratische und demokratisierende Wirkkraft. Bereits bei Plato fungiert es als Momentum des Demokratischen, weil in Platos Homologie zwischen Bewusstseins- und Gesellschaftsstruktur das In-Frage-Stellen der Vernunft durch das Ästhetische (sein Drang nach Befreiung aus ihrer Kontrolle) zu einer Bedrohung jeder hierarchischen Ordnung führt. Peper zeigt die fortwirkende Sprengkraft des Ästhetischen in den verschiedenen Epochéen der Literatur- und Kulturgeschichte: als beständige Faszination des Bewusstseins durch das ‚Primitive‘, das Instinkt- und Körperhafte, als kontinuierliche Einebnung bestehender Hierarchien, als aufklärerische Befreiung des Individuums von einem wesenhaften, wert- und gesellschaftsgebundenen Begriff von Selbst hin zur Selbstbildung und Selbstgestaltung durch die immer neuen Entwürfe eines gleichsam verflüssigten ‚postmodernen‘ Selbst. Die kulturelle Befreiung und Selbstinszenierung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen ebenso wie die theoretische Legitimation dieser Befreiung in den Theorien des Poststrukturalismus und Postkolonialismus, des Feminismus oder auch der Gay Theory sieht Peper vor allem als Bestätigung seiner These.
Mit anderen Worten, Pepers Epoché-Geschichte ist zugleich wunderbar erhellend und doch blind für alles, was sich ihrem Zugriff entzieht. Sie zeigt den unvermeidlichen Abbau der ‚großen Erzählungen‘ während der vergangenen dreihundert Jahre und erhebt doch selbst den Anspruch eine solche zu sein – vielleicht die letzte und in sich schlüssigste. Ohne Frage ist Pepers Buch Augen öffnend, bestechend durch seine Einzelanalysen ebenso wie durch das dichte Netzwerk literatur- und kulturhistorischer Zusammenhänge und Querverbindungen, an dem es unentwegt knüpft. Es ist durchdrungen, wenn nicht gar besessen, vom Ganzheitsgedanken, dessen Auflösung es nichts desto weniger mit atemberaubender (wenn auch gelegentlich atemloser) Stringenz zur Darstellung bringt. [...]
Insgesamt ist dies ein groß gedachtes, ein belesenes und gedankenreiches Buch – sprachlich bewundernswert klar und von bemerkenswerter gedanklicher Transparenz und Schärfe. Es ist ein Buch, das erratisch-knorrig-eigenwillig in die kulturtheoretische Diskussion der Gegenwart hineinragt, das die eigene kulturelle Epoche ungemein erhellt und ihr doch nicht wirklich angehört – das den Strom zeitgenössischer Theorien nutzt, um gegen ihn zu schwimmen [...]
Wenn dieses Denken Positionen besetzt, die der Poststrukturalismus hinter sich gelassen hat, so bestätigt es umgekehrt (und entkräftet so zugleich) die Relevanz poststrukturalistischer Theorien dadurch, dass es sie, die sich der Geschichte verweigern, geschichtlich erklärt und ihnen in der ‚großen Erzählung‘ heuristischer Epoché einen Platz zuweist. Gerade hierin zeigen sich Erklärungspotential und Leistungsfähigkeit der Peper’schen Kulturtheorie und -geschichte.
Amerikastudien/American Studies (2004)
Was Peper vorlegt, ist eine weit ausholende Umschreibung der Modernisierungsgeschichte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts aus ästhetisch-kultureller Perspektive. Gegenüber gängigen typologischen Konstruktionen des Geschehens aus sozialwissenschaftlichem Blickwinkel verändert der überzeugte Literaturwissenschaftler und Literatur- und Kulturhistoriker Peper Funktion und Bedeutung von Literatur und Kunst in diesem Prozeß in zweierlei Hinsicht. Spielen, wenn man einmal von Tenbrucks Theorem der ‚kulturellen Vergesellschaftung‘ absieht, Literatur und Kunst in diesem Säkularisierungs-, Demokratisierungs-, und Individualisierungsprozeß eher eine marginale Rolle, so weist ihnen Peper – auch wenn er sich gelegentlich vorsichtig äußert – einen zentralen Part zu. Nur deshalb macht es auch Sinn, literarische (Wordsworth, Cooper, Poe, Mallarmé, Emerson, Whitman, Wilde, Imagisten, William Carlos Williams, Hemingway, u.a.) und philosophische (Platon, Aristoteles, Baumgarten, Rousseau, Kant, Schopenhauer, Derrida u.a.) Autoren als Quellen einer daraus ‚abgeleitete[n] Kulturtheorie‘ zu nutzen. Zweitens schätzt er die Funktion der Literatur für diesen Prozeß anders ein als die meisten Modernisierungstheoretiker. Werden dort Literatur und Kunst überhaupt erwähnt, dann meist, zumal im Blick auf die Romantik, in ihrer subversiven Funktion als wirkungsvolle Medien der Kulturreflexion und der Modernisierungskritik. Peper hebt demgegenüber die politisch progressive Rolle des seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beobachtbaren Ästhetisierungsprozesses für das Modernisierungsgeschehen hervor. ‚Ästhetisierung hat als Prozeß der individualisierenden Besonderung [eben in der zunehmenden ästhetischen Wertschätzung des Individuellen, Konkreten, Sinnlichen, H.U.S.] wesentlich zur Entfaltungsgeschichte des Individuums und damit zur Geschichte der Demokratisierung beigetragen.‘ (S. 231) Das hängt mit dem ebenso frappierenden wie provozierenden, weil nicht unproblematischen, Schachzug Pepers zusammen, ästhetische und politische Emanzipation als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten. In seiner ganz ungeniert teleologischen Betrachtungsweise steht am Ende dieses Prozesses, wie ja auch Soziologen von Sennett über Lasch (beide werden von Peper konsultiert) bis zu Schulze (‚Erlebnisgesellschaft‘) bestätigen, eine säkularisierte, ästhetisierte, genußorientierte ‚Individualkultur‘ (S. 107) mit narzißtischer Tendenz, eben die zeitgenössische Konsumgesellschaft. Wegweisende Bedeutung für diesen Prozeß hatte u.a. Wildes The Picture of Dorian Gray (S. 93f.), dessen Ästhetizismus und Hedonismus, wie auch die Wilde-Forschung neuerdings herausstellt, Grundzüge der modernen Erlebnisgesellschaft vorwegnimmt.
Peper unterstellt dem Ästhetisierungsprozeß also eine subversive, soziale und kulturelle Hierarchien untergrabende Wirkung. Das leuchtet bei Rousseau und beim jungen Wordsworth sowohl in politischer als auch in stilistischer und metapherntheoretischer Hinsicht ohne weiteres ein. [...]
Pepers entschlossene Demonstration seiner Grundthese läßt ein imposantes Gesamtbild entstehen, das zugleich den Eindruck einer notwendigen Entfaltung zu erwecken vermag. Dabei entgeht Peper natürlich nicht, daß parallel zur Versinnlichung bzw. Ästhetisierung auch eine komplementäre (S. 274) Rationalisierung stattfindet. [...] Pepers Buch ist ein wichtiger, willkommener und gescheiter Beitrag zur Modernisierungsdebatte aus literarhistorisch-ästhetischer Perspektive. Es enthält eine Fülle von gelungenen Analysen und produktiven Einsichten. Pepers auffällige interpretatorische Kompetenz erlaubt ihm, diese Einsichten aus der Betrachtung der Texte selbst zu gewinnen – ein großes Verdienst. Daß Pepers Buch auch viele (auch grundlegende) Fragen provoziert und die Paradoxien und Komplexitäten dieses Prozesses nicht zureichend berücksichtigt, ist angesichts der Kühnheit und Schwierigkeit seines Unternehmens nicht verwunderlich.
Poetica (2004)
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