Goethes Faust lesen. – Es geht in diesem Drama um Arm und Reich, um Macht und Recht, um Erotik und Sexualität, um das Nebeneinander von Fortschritt und Nostalgie und um das Gegeneinander von Religion und Wissenschaftlichkeit, um wirtschafts- und kulturgeschichtliche Veränderungen, und umspielt werden auch die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst und Künstlertum: Goethes Faust handelt von der Entwicklung und dem Zustand der westlichen Zivilisation – unserer Zivilisation. Und dabei ist Faust weder eine trockene Abhandlung noch ein schulmeisterliches Lehrstück, sondern facettenreiche, große Dichtung. Und wenn Lesende sich in ihrer Vorstellung vergegenwärtigen, was für die Bühne geschrieben ist, erfahren sie das Drama – mit seinen überraschenden Verwandlungen der Szenerie, mit erschreckenden und belustigenden Bühnentricks, mit Show-Effekten und mit dem Aufgebot von sanft begleitender Musik oder lärmendem Gejohle – als unterhaltsames Theater.
Dieses Buch befasst sich – in überblicksartigen Analysen und in schrittweisen Kommentierungen ausgewählter Szenen – mit der Komplexität des Faust-Texts, mit dem, was im Drama geschieht, was gesagt, gezeigt und evoziert wird, mit der unkonventionellen Gestaltung der Figuren, mit der Verflechtung der Themen, und genau verfolgt wird Goethes revolutionäres Spiel mit Zeiten und Räumen. Das Buch richtet sich an literarisch interessierte Leserinnen und Leser, Theaterbesucher und -besucherinnen und auch an Theatermacher und Theatermacherinnen. Es will dazu ermuntern, sich auf die Vielschichtigkeit dieses ganz und gar unklassischen Dramas einzulassen.