Theoriebewußt und ertragreich liest und interpretiert die Studie zwölf Liebesgeschichten der Goethezeit, bringt diese in Zusammenhang mit zeitgenössischen Theorien zu Körper und Seele und bündelt die Ergebnisse unter der Perspektive von Michel Foucaults Schriften und der Gender Studies: Unter Einbeziehung der Kategorie Geschlecht geht sie so der Konstruktion des bürgerlichen Subjekts im Kontext der Wissenschaften vom Menschen in literarischen Texten um 1800 nach. Die Lesefrüchte werden mit sprechenden Zitaten aus Lichtenbergs Sudelbüchern erhellt und kapitelweise auf den Punkt gebracht. Die Untersuchung leistet damit einen ebenso lesbaren wie originellen als auch kritischen und fundierten Beitrag zur Germanistik als Kulturwissenschaft.
Aufgrund der Berücksichtigung von kanonisierten und nicht kanonisierten Erzähltexten im Untersuchungskorpus sowie der Gliederung der Ergebnisse unter Gesichtspunkten, die für die Entstehung des Sexualitätsdispositivs relevant sind, bietet das Buch eine geeignete Grundlage für literaturwissenschaftliche Seminare, die auf eine Verbindung zur Geschlechterforschung Wert legen.
Gabriela Scherer
Bis daß der Tod euch scheidet...
Leib-seelische Fügungen in Liebesgeschichten um 1800
2002
247 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-361-4
Gabriela Scherer, Dr. phil., war nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Literaturkritik in der Schweiz und den USA sechs Jahre wissenschaftliche Assistentin und Lehrbeauftragte am Deutschen Seminar der Universität Zürich. Anschließend drei Jahre Forschungsstipendiatin und Lehrbeauftragte am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin und ein Jahr Deutsch- und Englischlehrerin an der Deutschen Schule Tokyo Yokohama. Lebt und arbeitet z. Zt. freiberuflich als Redakteurin und Literaturwissenschaftlerin sowie als Gymnasiallehrerin in Berlin und Potsdam und ist durch zahlreiche Arbeiten zur Literatur des 18., 19. und 20. Jahrhunderts ausgewiesen.
Die Autorin führt die Leser mit einer klaren Struktur und leitenden Zitaten aus Lichtenbergs Sudelbüchern durch ihr komplexes Werk, dessen zwölf Lektüren aufdecken, wie Geschlechtsidentitäten fiktiv und naturwissenschaftlich konstruiert werden und so die bürgerliche Hierarchie von Mann und Frau festlegen – bis dass der Tod sie scheidet...
Aline Willeke in „literaturkritik.de (Februar 2003)