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Die vorliegende Studie untersucht den Zusammenhang von Antikapitalismus, Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit, wie er sich in literarischen und nicht-literarischen Texten der Jahrhundertwende abzeichnet. Avanciert die Ökonomie um 1900 zum Leitdiskurs der rasanten Modernisierung, so geraten allem voran die Börse und das Kaufhaus ins Zentrum der antikapitalistischen Kritik. Diese ordnet die „spekulativen“ Finanztransaktionen sowie die neuartigen Konsumpraktiken bevorzugt Minoritäten zu, genauer: dem scheinbar korrupten jüdischen Börsianer, dessen „nervöser“ Habitus dem volatilen Spekulationspapier zu entsprechen scheint, und der willensschwachen Käuferin. Auf diese Weise artikulieren die Texte ihre Vorbehalte gegen den „schnöden Mammon“ und fixieren die Grenzziehungen der Mehrheitsgesellschaft. Auch die in Populärromanen beliebte Figur des Ingenieurs, der an der Schnittstelle von Ökonomie und Genie steht, folgt diesen Diskursregeln, denn er muss gemeinhin eine Schule der Askese durchlaufen, um sich gegen die Verlockungen des Geldes und die „dubiosen“ Aktiengesellschaften zu wappnen. Die Studie untersucht die Börsen-, Geld- und Kaufhauskritik sowohl in kanonischen Texten (Theodor Fontane, Heinrich Mann, Thomas Mann etc.) als auch in Populärromanen und Essays. Sie rekonstruiert die Gegenentwürfe in deutsch-jüdischen Texten (Arthur Schnitzler, Salomon Kohn etc.) sowie die alternativen Konzeptionen der Börse in US-amerikanischen Romanen.
Franziska Schößler
Börsenfieber und Kaufrausch
Ökonomie, Judentum und Weiblichkeit bei Theodor Fontane, Heinrich Mann, Thomas Mann, Arthur Schnitzler und Émile Zola
Figurationen des Anderen 1
2009
ISBN 978-3-89528-756-5
346 Seiten
kartoniert
Franziska Schößler ist seit 2004 Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier. Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Bonn und Freiburg (1984-1990). Studienaufenthalte in Paris, London, Brisbane. Dissertation über Adalbert Stifter (1994), Habilitation über Goethes Lehr- und Wanderjahre (2001) (Francke 2002), beides an der Universität Freiburg. 2002-2004 Oberassistentin an der Universität Bielefeld (am Lehrstuhl von Klaus-Michael Bogdal). Seit 2008 Teilprojektleiterin im SFB 600 Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart an der Universität Trier. Forschungsschwerpunkte: Ökonomie und Literatur (mit Schwerpunkt Antisemitismusforschung); Drama und Theater (mit Schwerpunkt Gegenwartsdramatik); kulturwissenschaftliche Literaturtheorie; Gender Studies. Publikationen (in Auswahl): Einführung in das Trauerspiel und das soziale Drama (Darmstadt 2. Auflage 2008); Augen-Blicke. Erinnerung, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre (Tübingen 2004, Forum Modernes Theater); Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Eine Einführung (Tübingen 2006, UTB); Einführung in die Gender Studies (Berlin 2008, Akademie Verlag).
Leseprobe: 9783895287565.pdf
Schößlers Buch dürfte in der sicher noch längst nicht erschöpften Debatte um das Verhältnis von Literatur und Ökonomie eine gewichtige Rolle spielen, da überzeugend herausgearbeitet wird, wie ökonomische Diskurse oft unterschwellig auf rassen- und gendertheoretischen Prämissen beruhen, zumal einige dieser Prämissen noch immer am Werk sind und den zeitgenössischen Diskurs strukturieren.
Dies wird abschließend an Martin Walsers Roman „Angstblüte“ unter Beweis gestellt. Aber auch jenseits der aufgearbeiteten antisemitischen und frauenfeindlichen Klischees ist es faszinierend zu entdecken, wie die kollektive Wahrnehmung der Börse in der aktuellen Krise dem Bild ähnelt, das um 1900 etabliert war. Franziska Schößler hat zwar keineswegs das Buch zur Krise geschrieben, ihren ohnehin überzeugenden Analysen kommt durch den Bezug zur Gegenwart aber noch größere Durchschlagskraft zu.
Manuel Bauer in „literaturkritik.de“
[...] die Untersuchung zu den ökonomischen Diskursen der ersten Globalisierungswelle [stellt auch] einen Beitrag zur Antisemitismusforschung und zu den Gender Studies dar. [...] Sehr gut lesbar und konsistent argumentierend, zeigt die Studie die "systemische[n] Kopplungen von Geschlecht, Ethnizität und Ökonomie", die - so ein abschließender Blick in die Gegenwartsliteratur - partiell auch heute noch die Wahrnehmung bestimmen.
Elke Brüns in „Germanistik“ (3-4/2010)
[...] [Die] Kombination von Höhenkamm- mit Unterhaltungsliteratur stellt eine eigene Herausforderung dar. Franziska Schößler meistert sie, ohne den Texten gegenüber je in die Arroganz jener Edelgermanistik zu verfallen, die glaubt, sich durch die Wahl ihrer Gegenstände adeln und Texte jenseits des Kanons pauschal verwerfen zu müssen. [...] Pointiert formuliert Franziska Schößler, dass Anpassung „das fremde ‚Wesen‘ erst produziert und ausdifferenziert“. Die Komplexität dieser Argumentation, die Sorgfalt des Gedankenganges, der Sinn für Aporien und die Verweigerung gegenüber Simplifizierung [...] sind exemplarisch für die gesamte Monographie. [...]
Irmtraud Hnilica in „Freiburger GeschlechterStudien“ (25, November 2011)
[…] Diese Zusammenführung von zu Unrecht getrennten Wissensordnungen propagiert das vorzügliche Buch Schößlers, die mit ihrer Eröffnung der Reihe »Figurationen des Anderen« an die Arbeiten von Judith Marcus, Edith Weiller oder Johannes Kleinsorg in den 1990er Jahren anschließt und dabei doch einen ganz eigenen Zugriff präsentiert. […] Dass es die Geschichte dieser Ressentiments nicht halb oder doppelt erzählt, einmal anhand der hoch- und populärkulturellen fiktionalen Literatur der Zeit mit Referenzen an Émile Zola, Theodor Fontane, Thomas und Heinrich Mann; einmal als Geschichte der national-ökonomischen Lehrmeinungen derselben Zeit, mit Bezug auf Constantin Frantz, Wilhelm Roscher und Werner Sombart, diese integrative Grundstruktur macht das Buch von Schößler zu einem Ereignis, und es ermöglicht dem Leser somit einen erkenntnistheoretisch doppelten Blick auf das Phänomen: Sombart, Simmel und Veblen erscheinen hier als »Literatur«, die literarischen Texte von Zola, Fontane, Schnitzler und den Brüdern Mann hingegen als Beitrag zu nationalökonomischen Debatten der Zeit, als tastende Explorationen in das neue und schwer zu durchschauende Terrain ökonomischer Veränderungen in den Jahren und Jahrzehnten um 1900. Das Buch von Franziska Schößler klärt nicht nur über die Variationen und Funktionsweisen dieser Analogien auf, sondern auch über den Denkstil, dem sie entsprangen.
Nicolas Berg in „IASLonline“ (30.01.2012)
Hier die vollständige Rezension: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3193
[...] Schößler's study is consistently interesting, with meticulous probes into nuance and particularity and many acute lines of argument than can be considered in this space. It is well researched, drawing from many other scholars and extensively referencing turn-of-the-century commentators such as Sombart and Veblen. [...]
Jeffrey L. Sammons in „Monatshefte“ (No. 4/2011)
Figurationen des Anderen 1
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