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In der unmittelbaren Nachkriegszeit kommt es zu einer trügerischen Überwindung gesellschaftlicher und persönlicher Zerrüttung; ein Zustand, der dem Zusammenhalt von Individuum und Wirklichkeit im herkömmlichen Sinne abträglich ist. Die Auseinandersetzung des Einzelnen mit diversen Erscheinungsformen des (Selbst-)Fremden muss unter diesen Umständen unausbleiblich sein. Das Gedicht als ein Ort, an dem das Fremde als ein u.U. unbekanntes Eigenes wahrnehmbar wird, führt eine ehrliche, wenngleich indirekte Begegnung mit der geschichtlich-gesellschaftlichen Realität der Nachkriegsjahre herbei und setzt somit die Bereitschaft zu einer vorübergehenden Anwesenheit voraus. Ingeborg Bachmanns Jugendgedichte, die Gedichte 1948-1953 sowie die Gedichte der Bände Die gestundete Zeit und Anrufung des Großen Bären zeigen das unumkehrbare Werden des Gedichtes zu einem solchen Ort.
Ruxandra Chişe
Alterität als Eigenes
Ingeborg Bachmann und das vorübergehende Bleiben im Gedicht
2017
ISBN 978-3-8498-1236-2
336 Seiten
kartoniert
Ruxandra Chişe, geb. 1980 in Rumänien, Germanistin. 2016 Promotion an der Ruhr-Universität Bochum mit der vorliegenden Arbeit. Publikationen in Sinn und Form (Gedichte), im Auer-Verlag u. a.
Leseprobe: 9783849812362.pdf
Die Arbeit setzt mit einer gründlichen, sowohl literaturhistorisch als auch literaturtheoretisch fundierten Durchleuchtung der Ich-Instanz ein und wendet sich daran anschließend einzelnen poetologischen und philosophischen Konzepten der Du-Instanz zu, die nach Ansicht der Verf. eine wichtige Rolle in Bezug auf die Erfassung des Alteritätsbegriffs bei B[achmann] spielen. [...] Nach dieser theoretischen Fundierung wird der Begriff der Alterität in den Gedichten der Autorin untersucht, wobei das Analysespektrum von Jugendgedichten bis zu B.s beiden Gedichtbänden "Die gestundete Zeit" und "Anrufung des Großen Bären" reicht. Chişe zeigt auf, dass sich B. in ihrer lyrischen Du-Konzeption immer mehr an den Leser wendet, der nicht außerhalb des Textes gedacht wird, sondern dessen Rolle in einem »bewusst akzeptierten Bleiben im Text« (196) konzipiert wird. Folgerichtig erhält die Figur des Lesers ein eigenes Kapitel, in dem dieses Bleiben im Gedicht genauer konturiert und gezeigt wird, wie sich diese zunächst abstrakte Konzeption des Lesers schließlich an einen individuellen Leser wenden kann. Die Studie Chişes, die einer komplexen Fragestellung auf hohem Reflexionsniveau begegnet, mündet schließlich in den Gedanken, dass das Gedicht »ein fremder Ort bleibt, der verunsichern soll« und »an dem der Leser eine besondere Art der Selbstbegegnung erfährt, die ihm ein verantwortungsvolleres Erfassen der Welt ermöglicht« (312).
Barbara Mariacher in „Germanistik“ 59 (2018), H. 3-4
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