Aus der Kritik |
Die Befriedung Europas und das allmähliche Zusammenrücken seiner Nationen gehört zu den grossen politischen Visionen vieler Schriftsteller dieses Kontinents. Paul Michael Lützeler hat dieses Engagement der Dichter wohl gründlicher erforscht als jeder andere Literaturwissenschaftler. In diesem Essayband widmet er sich neben einer Analyse der Europa-Ideen von Schiller, Goethe, Kleist oder Thomas Mann auch den entsprechenden Interventionen der Autoren unserer Zeit von Grass bis Sloterdijk, von Barbara Frischmuth bis Hans Magnus Enzensberger. […]
Uwe Wittstock in „Die Welt“ (21.04.07)
[...] Lützeler weist in seiner faszinierenden Analyse darauf hin, dass es neben Politikern und Philosophen vor allem Schriftsteller waren, die „auf die Pazifizierung und Einigung des Kontinents drängten“ und durch ihre Beiträge mithalfen, hinter den sinnvollen und unverzichtbaren nationalen Erzählhorizonten auch die „kulturellen Tiefenstrukturen europäischer Gemeinsamkeit“ durchscheinen zu lassen. [...] Wer sich für Literatur, Europa und die verbindenden und trennenden Geschichten, Mythen und Traditionen interessiert, dem ist dieses Buch ans Herz gelegt. Keine leichte, aber eine sich lohnende Kost!
Wend Kässens in „a kultur. Neue Bücher“ (NDR, 09.05.07)
[...] Die Vielzahl von thematisch differenzierten literaturwissenschaftlich-essayistischen Exkursen ist wie eine Reise in eine bekannte und doch unbekannte Welt, wo auf mehreren Schauplätzen quer durch den ganzen Kontinent Europagedanken und -ideen auftauchen, die sich im Gesamtüberblick in eine bemerkenswerte „Europa-Erzählung“ zusammenfügen. [...]
Irena Agata Szyszko in „EUROjournal“ (Heft 1/2007)
Vor fünfzig Jahren wurde eine lang gehegte Utopie verwirklicht: Europa. In vielen, oft kleinen Schritten hat es grosse Fortschritte gemacht. Die Grenzen sind gefallen, der Kontinent ist zusammgewachsen. Die alten Auseinandersetzungen, die über Jahrhunderte unsere Geschichte bestimmten, der Kampf um die Vorherrschaft, haben sich, wenn nicht erledigt, dann doch verlagert. Was in Conrad Ferdinand Meyers „Jürg Jenatsch“ am Dreissigjährigen Krieg beschrieben wurde, der europäische Grundkonflikt, hat über zwei Jahrhunderte auch die Schriftsteller dieses Kontinents beschäftigt. Stationen dieses ständigen Diskurses zeichnet Paul Michael Lützeler in seinem neuen Buch, das anknüpft an „Die Schriftsteller und Europa“, 1992, in einer Reihe von exemplarischen Studien nach. Von Goethe über Kleist zu Broch und Th. Mann, bis hin zu Muschg, Enzensberger und Sloterdijk. Zuvor sichtet Lützeler noch die neuerliche Debatte um Europa, am Ende skizziert er das Verhältnis zwischen unserem Kontinent und den Vereinigten Staaten. Wer wissen will, wo Europa herkommt und wo es hinführt, der kommt an Lützeler nicht vorbei.
Martin Lüdke in „Frankfurter Rundschau“ (05.07.2007)
Wenn es mehr ist als eine Binsenweisheit, dass nämlich die Visionäre vor allem aus der Geschichte lernen, dann ist das ohne Zweifel ein Buch für die Vordenker eines neuen Europa. Paul Michael Lützeler, der grosse Exeget Hermann Brochs und Germanist im amerikanischen St. Louis, holt mit gesammelten Aufsätzen zum Thema weit aus, um dadurch umso exakter zu treffen. «Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller» heisst sein Buch, das nicht nur fünfzig Jahre Europäische Gemeinschaft im Spiegel kritischer Autoren wie Reinhold Schneider, Hans Magnus Enzensberger und Adolf Muschg zeigt, sondern auch die davor liegenden Epochen kontinentaler Feindschaften. Seit zweihundert Jahren denken die Schriftsteller über Europa nach, und in diesem geschichtlichen Horizont bewegen sich auch die Essays von Paul Michael Lützeler.
Mit stupendem Wissen und grosser intellektueller Kombinationsfreude bewegt sich sein Buch durch die Zeiten und Geografien. Es macht mit Friedrich Schiller einen emphatischen und expliziten Verfechter des europäischen Gedankens kenntlich und mit Goethe einen eher impliziten. Sein Begriff der Weltliteratur markiert eine plurizentrische Offenheit nicht nur in Fragen der Ästhetik, sondern auch des Politischen. An den wichtigen Etappen der europäischen Geschichte orientieren sich Lützelers Aufsätze. Vom Dreissigjährigen Krieg in Conrad Ferdinand Meyers Roman «Jürg Jenatsch» über Heinrich von Kleists literarischen Widerstand gegen Napoleon geht es herauf zum europäischen Pazifismus der Jahrhundertwende, von Thomas Manns Europadämmerung «Der Zauberberg» zu einer Nachkriegspolemik zwischen Jünger und Broch.
Die gegenwärtigen, ebenfalls im Buch intensiv dokumentierten Debatten um Europa sind kein Postskriptum zu den vorhergegangenen, sondern aus diesen herleitbar. Ein Nachwort gibt es dennoch in Paul Michael Lützelers Buch. Es ist «Europa und den USA» gewidmet, und es ist eine Art verschärftes Bekenntnis zur Identität durch Vielfalt. Zu zeigen, wie Europa und Amerika einander bedingen, sei Aufgabe einer Rekonstruktionsarbeit tief hinein in die Traditionen der abendländischen Kultur. Dass weder New York noch Paris ohne Athen, Jerusalem, Rom und Bologna denkbar sind, merkt Lützeler an und sieht die Gründe dafür nicht in einer weltweit agierenden Wirtschaft, sondern in einem immer noch aus der Geschichte wirkenden Geist.
Die penible Beschäftigung Lützelers mit dem Thema Europa kann in dieser Hinsicht auch als subtile Warnung vor dem Primat einer gleichmacherischen Ökonomie gelesen werden. Dass die Literatur im Prozess der Globalisierung eine kritische Substanz hat, weil ihre Beschäftigung mit den historischen, kulturellen und soziologischen Details das grosse Ganze relativiert und in seinen Konsequenzen erst deutlich macht, daran lassen Paul Michael Lützelers Aufsätze keine Zweifel.
Paul Jandl in „Neue Zürcher Zeitung“ (30.08.2007)
[...] der Amerikaner Lützeler [blickt] auf Europa. Lützeler ein Amerikaner? Ach was, er ist natürlich Deutscher, lehrt aber und lebt seit Menschengedenken in St. Louis. Man weiss, dass er einer der besten Broch-Kenner ist, und so überrascht es nicht, in dieser Sammlung einen Aufsatz über das Verhältnis von Broch und Ernst Jünger zu finden. Scharfsinnig die Interpretation von Kleists Novelle „Die Verlobung von St. Domingo“. Lützeler erzählt den historischen Hintergrund, vom Aufstand auf St. Domingo gegen Napoleon, Napoleons missglücktem Gegenschlag, der ihn 50 000 Soldaten kostete, die an Gelbfieber starben. Napoleon, ohne Hoffnung, Louisiana halten zu können, verkaufte es für 15 Millionen Dollar an die USA. […]
Ulrich Greiner in „DIE ZEIT“ (13.09.2007)
[...] Insgesamt verstehen sich Lützelers Studien als „Hoffnung machende Erinnerungen an den Europa-Gedanken, die noch realitätstauglich sind“. Jenseits dieser grossen kulturpolitischen Dimension, in der Lützelers ‚Kontinentalisierungs‘-Band auch einen intellektuell gewichtigen Beitrag zur Globalisierungs- und Transnationalisierungs-Debatte bedeutet, stellt Lützelers Arbeit vor allem einer kulturgeschichtlich orientierten Germanistik eine Fülle von material- und thesenreichen Einzelanalysen zusammen, die etwa die Autorphilologien (wie etwas der Thomas-Mann- oder der Hermann-Broch-Forschung) wichtige Erkenntnisse und Korrekturen ermöglicht.
Barbara Besslich in „wirkendes wort“ (2/2007)
[...] bei der Arbeit am Diskurs einer atlantischen Identität [wird sich] bald zeigen [...], wie sehr der „American“ und der „European Dream“ einander ähneln. Deren tertium comparationis ist in der Tat der „Atlantic Dream“, „der die Voraussetzung einer neuen Atlantic Community oder gar einer Atlantic Union abgeben könnte – als Allianz befreundeter politischer Mächte, als eine Säule globaler Friedensordnung und nicht als hegemonialer Superstaat, nicht als Schrecken für den Rest der Welt.“
Welchen Nutzen die Literatur für ein solch ehrgeiziges Projekt haben kann, führt Lützeler mit seinen gewohnt brillant formulierten Lektüren vor Augen [...] Der literaturgeschichtlich offene und analytisch profunde Band ermuntert gerade dazu, auf dem Fundament fiktionaler Texte über ein real-politisches Europa nachzudenken; er kann damit neben anderen einschlägigen Studien als empfehlenswertes Überblickswerk gelten. Der Band führt anhand wohlbegründeter Exempel und insgesamt überzeugend Erzählungen und Diskussionen von Europa vor, ohne dass ein konkreter Wirklichkeitsbezug zu kurz käme. Europas >Kontinentalisierung< ist ohnehin schon lange nicht mehr eine allein literarische Phantasie.
Oliver Ruf in „iaslonline“ (19.11.2007)
Vollständig unter: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2585
[…] [the essays] form an important contribution to literary research on the European project, and indeed to the project itself.
Christoph Parry in „MLR“ (1/2008)
[...] Der Band wird dem Wandel und der heutigen Komplexität des Europadiskurses gerecht, ohne die ganz Vielfalt einer künstlichen Meistererzählung unterzuordnen. So hat das Ganze den Charakter eines Werkstattberichtes und stellt als solcher selber einen wertvollen Beitrag zum unvollendeten Projekt Europa dar.
Christoph Parry in „Germanistik“ (1/2008)
Paul Michael Lützeler legt in seinem Band „Kontinentalisierung. Das Europa der Schriftsteller“ nichts weniger als die Rezeptionsgeschichte Europas in der deutschsprachigen Literatur vor, vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart. [...] So entsteht eine Geschichte dieses Erdteils aus der Darstellung des über zweihundert Jahre andauernden Europa-Diskurses mit seinen Debatten zur europäischen Identitätsbildung – und wie nebenbei eine Geschichte des europäischen Kontinentalisierungsprozesses.
Dabei überzeugt der nüchtern-distanzierte wie gegenstandsnahe Blick des Autors, der sich vielleicht auch einer doppelten Perspektive verdankt: Lützeler ist nicht nur in den USA zu Hause, wo er seit drei Jahrzehnten forscht und lehrt, sondern auch in Deutschland, wo er geboren wurde, studierte und sich immer noch viel aufhält. Hinzu kommt eine geradezu stupende Belesenheit, die nicht nur seine Kenntnisse der Literatur zweier Jahrhunderte, sondern auch seine Übersicht über die aktuellen Europa-Debatten im Feuilleton der wichtigsten europäischen Zeitungen dokumentiert.
So entsteht Kulturwissenschaft im besten Sinn. Politik, Geschichte, Literatur – Lützeler denkt sie in seinen kompakten und den Puls der jeweiligen Zeit fühlenden Studien zusammen. Dass er dabei die richtigen, und das heisst: die unbequemen und entlarvenden Fragen zu den von ihm referierten Positionen stellt, gehört zu den grossen Vorzügen dieses Bandes.
Doris Ploeschberger in „Moderne. Kulturwissenschaftliches Jahrbuch“, 2007
Paul Michael Lützeler hat sich immer wieder eingehend (und aus unterschiedlichen Perspektiven) mit Europa beschäftigt, selbst dann, als das Europa-Thema aus dem literatur- und kulturwissenschaftlichen Blickwinkel geriet und vom Globalisierungsdiskurs verstellt oder nivelliert zu werden drohte. [...] In den 11 Kapiteln [...] rückt der Autor das Problem der Kontinentalisierung ins historische und theoretische Spannungsfeld von Multikulturalismus, Globalisierung und nationaler Identität, von Postkolonialismus und der Allgegenwärtigkeit der Modere im postmodernen Zeitalter. [...] Diese Kapitel rücken „das Europa der Schriftsteller“ ins Verhältnis zum grossen historischen Ereignis/Akteur (z.B. Kolonialkriege in der Karibik/Napoleon), zu weitvernetzten, politisch-historischen Konstellationen (z.B. Exil und Zweiter Weltkrieg) oder zu wirtschaftspolitisch motivierten, kulturell verschleierten Gesetzgebungen (z.B. Europa-Debatten seit den 1980er Jahren). Insgesamt bietet Lützeler seinen Lesern nuancierte historische Fallstudien, ohne sich in einem kursorischen Überblick zu verlieren. [...] Diese Fallstudien werden durch einen Rahmen (Vor- und Nachwort) kontextualisiert, der Einblick gibt in entscheidende kulturtheoretische Impulse und den Begriff der Kontextualisierung am Beispiel Europas entwickelt. [...] Lützelers Analyse einiger Texte von Frischmuth, Gauss, Grass, Senocak, Sloterdijk und Tawada verdeutlicht, dass diese Betrachtungen Europas Verhältnis zum Islam ebenso einbeziehen sollten wie das seiner Vergangenheit inhärente kolonialisierende und orientalisierende Denken und Handeln.
Birgit Tautz in „German Studies Review“ (31/1, 2008)
Quel est le sens de l'Europe? D'où vient l'Europe? Où va-t-elle? Comment décrire ou définir ce que l'on appelle l'idée européenne? Car il s'agit bien ici de cerner la question de l'identité européenne par le truchement de la littérature: immense programme qui est exhaustivement traité par Paul Michael Lützeler. L'Europe apparaît aux yeux de Lützeler comme le continent de l'Histoire par excellence, où un projet de paix va s'élaborer au fil des siècles. Le travail auquel s'es livré Lützeler est remarquable. Cette étude de qualité parfaitement maîtrisée s'adresse à tous ceux qui veulent progresser dans la conaissance de l'Europe, mais aussi dans plusieurs autres domaines, l'histoire e la littérature. Cet ouvrage présente une grande richesse et une grande originalité de pensée.
Christine Mondon in „Austriaca“ (2007)
[...] Lützeler's eminently readable book is not only a timelye and important study on the image of Europe in German literary history, but also raises valid questions about the actual political potential of literary writing beyond the European arena.
Christian J. Emden in „Monatshefte“ (2/2008)
[...] Insgesamt zeigt dieses Buch auf überzeugende Weise, dass das politisch-praktische und humanistisch-idealistische Nachdenken über Europa zu den thematischen Konstanten der europäischen literarischen Intellektuellen gehört.
Gustav-Adolf Pogatschnigg in „Germanistik“ (2007 / Heft 3-4)
[Lützeler] demonstrates his profound knowledge of European discourse since the Thirty Year War, the time of the first concrete publication of the attempt to overcome what to all Germans is known infamously as the „Erbfeindschaft“ [...]. [A] readable and important book [...].
Hal H. Rennert in „South Atlantic Review“ (Summer 2008)
[...] Der [...] gehaltvolle Band ist ein sprechendes Zeugnis dafür, wie sehr die Wünschbarkeit oder aber die Konturen einer europäischen Identität der Literaten seit der 'Achsenzeit' bewegte.
Heinz Durchardt in „Arbitrium“ (1/2008)
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