Erdbeben, Tsunami und atomare Verseuchung: Die dreifache Katastrophe von Japan produziert auch eine gigantische Fülle von Bildern. Wenig verwunderlich, laufen Katastrophen heute doch in Echtzeit vor den allzeit aufnahmebereiten digitalen Kameras, Handys und Fotoapparaten ab. Und obwohl sich die Bilder längst tief eingebrannt haben in unsere Köpfe, werden sie in Endlosschleifen auf allen medialen Ausgabekanälen auch noch permanent wiederholt. Ein gigantisches Bilder-Dauerfeuer in einer ohnehin schon Bilderüberladenen Welt. Ein Thema, mit dem sich der Autor Siegfried J. Schmidt, der sich der visuellen und konzeptionellen Dichtkunst verschrieben hat, in seinem kürzlich im Bielefelder Aisthesis Verlag erschienenen Band unter dem Titel „an den windstillen vorbei“ in experimentellen Texten, Collagen und Zeichnungen auseinandersetzt. Schmidt, der von 1971 bis 1979 als Professor für Theorie der Literatur an der Bielefelder Uni und später in Siegen und Münster lehrte, fragt in seinem Buch: „können wir uns denn anders gegen die gewalt der bilder wehren als durch die anästhesie des herzens?“ Eine treffende Frage, die man sofort bejahen möchte, denn wer kann diese Bilderfluten noch bewältigen, aushalten, oder gar noch tief an sich heranlassen. Folgt nicht die Abstumpfung notwendigerweise auf dem Fuße – aus Selbst-Schutz vor dieser gigantischen Bilderwelt? Beinahe resignierend fragt Schmidt daher: „zu bildern geschichten erfinden & zu geschichten bilder / so schlagen wir uns durchs medienleben / also durch die unvermeidlichkeit / wir könnten auch innehalten – aber wohin?“ Könnten wir wirklich innehalten – selbst wenn wir wollten? Schmidt wirft Fragen auf. „kann auch das leiden geschwätzig werden? / schreiben bilder der gewissheit hinterher? / führt betroffenheit zum wiedererkennen?“ Und bietet Texte als Antworten an, die sich dem schnellen Konsum verweigern, Dechiffrierleistungen erfordern, neugierige Leser brauchen, die Lust haben, auf die Auseinandersetzung mit dieser eher hermetischen Welt. Die sich aber auch selbst wiederum Bildern bedient, denn Schmidt collagiert aus Bildern, Zeichnungen und Textfragmenten neue eigene Welten, die ein anderes, ein genaueres Sehen erfordern und dieses so auch wiederum schulen. Angesichts des allgegenwärtigen Bilder-Dauerfeuers sicherlich eine zusätzliche bildliche Herausforderung – aber eine lohnende. Denn auch der Bilder-Skeptiker Schmidt formuliert am Ende dies: „was sollen wir also von den bildern halten? wir können anmaßend sein und demütig / wir können sie in unser leben verstricken / oder unser leben an sie ausliefern / wir können bildgläubig sein oder bildungsgläubig / aber wir können sie nicht über sehen / augen bilder augen fallen / jedes bild segelt an den windstillen vorbei“.
Stefan Brams in „Neue Westfälische“ (1.4.2011)
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