Konferenzbericht
Reisebewegungen zwischen Moskau, Berlin und Paris in den Jahren 1918-1938 waren der Gegenstand eines Forschungsprojekts, das von dem Germanisten Walter Fähnders, den Romanisten Wolfgang Asholt und Wolfgang Klein (alle Universität Osnabrück) und dem Slawisten Wolfgang Stephan Kissel (Universität Bremen) geleitet wurde. Das Projekt fokussierte auf die drei Hauptstädte, die in diesen Jahren unbestritten die bevorzugt konsultierten Indikatoren des europäischen Zustands waren. Da es nicht einfach nur pragmatische, Mobilitäts- oder Verkehrsgeschichte im Sinn hatte, richtete sich sein Interesse zunächst auf die schriftlichen (von dort aus auch die kulturellen und künstlerischen) Sedimentierungen der damaligen Bereisung von Moskau, Berlin und Paris und die darin sich abzeichnende Wahrnehmung dieser Metropolen. Modellhaft nimmt sich die Verwirklichung des Projektierten aus. Innerhalb von knapp zweieinhalb Jahren haben die Forscher drei Kolloquien auf die Beine gestellt, von denen die beiden ersten (die 2004 in Osnabrück bzw. Cerisy stattfanden) bereits als Aufsatzbände dokumentiert sind.
Die Vorträge der Abschlusstagung waren kenntnisreich, sachlich und intensiv. Tonangebend dafür war die key note speech von Erhard Schütz (Humboldt Universität Berlin) über Berlin-Darstellungen als Paradigma für eine europäische Moderne. Schütz entfaltete ein breites, plastisches und detailliertes Panorama der literarisch-zeitdiagnostischen Berlin-Darstellungen zwischen dem Ende des Ersten und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach 1918 erschien Berlin zumal den aus der Fremde Angereisten als Experimentierfeld eines aufgeladenen Nationalismus. Galten die modernen Metropolen überhaupt als Schule zur (Schärfung der) Wahrnehmung des Heterogenen, so besonders Berlin, das von vorbeiziehenden wie verharrenden Besuchern, Reiseschriftstellern wie Korrespondenten als amerikanisierte Stadt wahrgenommen wurde. Die Schlagworte schwirrten durch die Blätter: Berlin als Betrieb und Fabrik, als Stadt des Tempos, in der selbst das Vergnügen eine Industrie, die Freizeit zur Arbeit wird, als Fokus der Weltwirtschaftskrise, als hypermobiles Nomadenlager, als Ort und Quelle einer multikulturellen Modernität. […]
Justus Fetscher in „Zeitschrift für Germanistik“ (1/2007)
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