Hunderttausende überwiegend junger Menschen protestieren in den 1960er Jahren weltweit gegen Rassismus, Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg. In Deutschland sind es die Kinder der NS-Generation, die aufbegehren und im Schatten einer nationalen Verbrechensgeschichte auf die Weltrevolution hoffen und für internationale Solidarität auf die Straße gehen.
Die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 durch einen Westberliner Polizisten wird zum Fanal einer Mobilisierung und Radikalisierung, die über den ursprünglich universitären Rahmen der Studentenbewegung weit hinausgeht und große Teile der Jugend erfasst. Am Ende steht eine veränderte Republik.
Der ‚Familienroman‘ erzählt die Geschichte einer rebellischen Generation, die zwischen Geschichtslast und Geschichtslosigkeit nach neuen Wegen sucht und in der Revolte die historische Hypothek der NS-Vergangenheit abzutragen versucht. In der Darstellung werden biografische Skizzen, historisches Ereignis und politische Reflexion verknüpft.
68, immer schon Gegenstand heftiger Kritik von „rechts“, ist in den letzten Jahren zur Zielscheibe „linker“ Kritik geworden. Die 68erInnen, so wird von einigen Historikern – darunter ehemalige Aktivisten der Bewegung – behauptet, seien allen Legenden zum Trotz in Wahrheit ihren Nazi-Eltern „schrecklich ähnlich“ gewesen: in ihrem Denken, in ihrem Handeln und in ihrer verhängnisvollen Neigung zu politisch motivierter Gewalt.
Im Spannungsfeld solcher Anwürfe und Kontroversen führte die Autorin Gespräche mit beteiligten ZeitzeugInnen und InitiatorInnen der 68er-Bewegung. Sichtbar werden Kontinuitäten und Brüche im Selbstfindungsprozess einer politischen Generation, zu deren einschneidenden frühen Erlebnissen eine Kindheit im Krieg, die Trümmerlandschaften der Nachkriegszeit und die Konfrontation mit den Verbrechen des Nationalsozialismus gehören. Das herrschende Erinnerungstabu in der politischen Kultur der 50er und 60er Jahre und das Schweigen in den Familien über die eigene Beteiligung verdichten sich für die Nachgeborenen zu einem Szenario, in dem der Faschismus nicht als Vergangenheit, sondern in den politischen Auseinandersetzungen und in der Konfrontation mit einer feindseligen Bevölkerung als aktuelle Bedrohung erlebt wird. Dies wird zur explosiven Triebkraft einer Revolte, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte einzigartig ist.
„Man nimmt teil an einer geistigen Reise in die Vergangenheit und wieder zurück. Ein gedankenreiches Buch, vielschichtig und spannend dazu.“ (Rüdiger Safranski)
Karin Wetterau
68
Täterkinder und Rebellen. ‚Familienroman‘ einer Revolte
2018
ISBN 978-3-8498-1168-6
2., erweiterte und mit einem aktuellen Nachwort versehene Auflage
351 Seiten, div. Abb. (s/w und farbig)
Klappbroschur
Karin Wetterau, Jahrgang 1945, studierte Germanistik und Geschichte an den Universitäten Kiel und Berlin und erlebte den studentischen Aufbruch als beteiligte Zeitzeugin an der Freien Universität. Nach dem Ersten und Zweiten Staatsexamen arbeitete sie zunächst als Lehrerin in der ErzieherInnen-Ausbildung in Berlin, danach viele Jahre als Lehrerin im Zweiten Bildungsweg und am Gymnasium in Bielefeld. Seit Anfang der 1990er Jahre war sie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld als Lehrbeauftragte und als Lehrerin im Hochschuldienst in den Lehramtsstudiengängen Sozialwissenschaften tätig mit den Schwerpunkten Politische Bildung und Geschlechterverhältnisse. Sie lebt in Bielefeld und Italien.
Leseprobe: 9783849811686.pdf
Karin Wetteraus „Buch ist lebendiges Zeugnis einer Generation auf der Suche nach sich selbst und vielleicht auch nach einem besseren Deutschland“.
Eike Birk in „Bielefelder“ (März 2017)
Auf Seite 79 in: http://www.der-bielefelder.de/download/magazin/magazin_95_1.pdf
Für den Großteil ihrer Interviewpartner sei die Frage nach ihrer Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands und ihrer Familien „überraschend“ gewesen. Die linke Identität [...] sei „für viele eine Art der Verdrängung“ gewesen. [...] Karin Wetterau „wünscht sich, dass ihr Buch dazu beiträgt, dass nachvollziehbar bleibt, warum ihre Generation sich „geschämt hat, Deutsche zu sein“.
Burgit Hörttrich in „Westfalen-Blatt“ (01.03.2017)
Karin Wetterau im Gespräch mit Stefan Brams (NW, 22.03.17): "Der Anlass, mich überhaupt mit dem Thema zu befassen, war die Rechtsradikalisierung ehemaliger linker Führungsfiguren aus der Studentenbewegung. Dazu habe ich Bernd Rabehl interviewt, der einst ein führender Kopf der Bewegung war und seit einiger Zeit als Nationalrevolutionär im rechtsradikalen Lager und im Dunstkreis der NPD agiert. Er behauptet, die linke Studentenbewegung sei Ausdruck einer nationalen Empörung gewesen, insofern sei er seinem Denken treu geblieben. Ehemalige Mitstreiter aus dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) sind dem öffentlich entgegengetreten. Über sie habe ich weitere Kontakte erhalten und insgesamt 22 Interviews für mein Buch geführt und das Thema viel weiter gefasst als geplant." http://www.nw.de/kultur_und_freizeit/literatur/literatur/21726721_68-von-Karin-Wetterau-Ein-emanzipatorischer-Aufbruch.html
[D]ie Autorin [hängt] nicht starr an ihrem Konzept, sondern erzählt zuweilen lebendig und spannend ganz ohne neurotisierende Absichten von den Sit Ins und Flügelkämpfen, vom Alltag der Avantgarde, aus der Kinderstube der Republik.
„Wing“ in „ultimo“ (8/17)
Auf Seite 24 in: http://www.ultimo-bielefeld.de/media/ultimo.pdf
[...] Karin Wetterau [...], selbst am studentischen Aufbruch beteiligt [...], hat [...]zwei Dutzend Interviews und Gespräche mit Teilnehmern der antiautoritären Revolte geführt. Herausgekommen ist ein »Familienroman« ganz im Sinne des von Sigmund Freud geprägten Begriffs, mit dem die Psychoanalyse die Ablösung der Nachgeborenen von ihren Eltern als »Familienroman der Neurotiker« und als eine der »notwendigsten, aber auch schmerzlichsten Leistungen« beschreibt.
Gerhard Hanloser in „Junge Welt“ (31. Mai 2017, Nr. 125)
[Die] tiefe Spaltung zwischen der (gesamtdeutschen) Erwachsenenwelt und der Generation der Kriegskinder prägte das Denken und Fühlen in den 1960er und 1970er Jahren. Wer diese Zeit begreifen will, sollte unbedingt das Buch [...] über die Kriegskindergeneration lesen. [...] [Karin Wetterau] hat die Interviewpartner frei reden lassen und zitiert ausführlich aus deren Reflexionen. Allein schon die frische Ursprünglichkeit der Erzählungen macht dieses Buch lesenswert. Über die Hälfte des Buches füllen Berichte einer Generation, zu deren Verständnis insgesamt diese Arbeit nicht unerheblich beiträgt. [...] Alles in allem: ein Stück politischer Literatur, ein wesentlicher Beitrag zum Verständnis der Relevanz wie auch des letztlich politischen Scheiterns der Revolte.
Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker in „Der Tagesspiegel“ (14. Juni 2017)
Caroline Fetscher empfiehlt als Ferienlektüre „Für jedes Wetter“: Karin Wetterau: 68. Das Buch sei „extrem spannend, aufschlussreich und erschütternd“.
Caroline Fetscher in „Der Tagesspiegel“ (26.07.2017)
[...] ein lesenwerter Band über die unruhigen Jahre der Bundesreplik fesselnd aus Sicht der Akteure erzählt.
Karl Heinz Walloch in „www.wallos-kulturschock.de/Literatur“ (30.08.2017)
Wetteraus Monografie über eine politische Generation bündelt mehrere Perspektiven: die individuell-biografische, die intergenerationell-familiäre und die kollektiv-gesellschaftliche. [...] Dem chronologischen Aufbau entsprechend beginnt das zweite Kapitel mit der Kindheit der 1968er, die häufig noch im Krieg oder kurz nach seinem Ende geboren wurden und „unmenschliche Gewalt“ erlebten. Längere, flüssig lesbare Zitate der Interviewten prägen dieses und die folgenden Kapitel. Ergänzt werden sie durch Schilderungen des gesellschaftlichen Kontextes sowie durch Interpretationen und Deutungen der Autorin, [...] Für den Teil der Studie, der den „Familienroman“ der 68er darstellt, funktioniert das Verstricken der biografischen, historischen und deutenden Ebenen: Es entsteht ein informativer Text, der die innere und äußere Entwicklung einer Generation nachzeichnet. [...] Wetteraus Studie [enthält] auch aufgrund der Auseinandersetzung mit Rabehl und der Neuen Rechten wertvolle Denkansätze gegen Dogmatismus, „Schwarz-Weiss-Denken und die einfache Dichotomie von Richtig und Falsch“. So arbeitet sie etwa überzeugend heraus, wie eine phrasenhafte, linke Begrifflichkeit aufgrund ihrer semantischen Offenheit von rechts gekapert werden kann. Illustriert wird das anhand einer lesenswerten Analyse der latent antisemitischen Untertöne, die sich in antikapitalistische und -imperialistische Debatten mischen konnten. Die Pointe besteht dabei laut Wetterau darin, dass solche neuen Tabus auch in der Neuen Linken nicht diskutiert werden konnten – wie einst die Nazi-Schuldfrage zwischen den Generationen. Ohne dass es explizit formuliert wird, kann Wetteraus Studie damit auch als Beitrag zur Frage nach den Beziehungen gelesen werden, in denen wir leben wollen.
Julia Klebs in „literaturkritik.de“ (04.01.2018)
[...] Debatten und biografische Verläufe sind es, die die Autorin [...] veranlasst haben, mit Hilfe eines kollektivbiografischen Ansatzes genauer nach verdeckten Verbindungslinien zwischen nationalsozialistischer Sozialisation, Kriegskindheit und radikalem politischen Engagement seit den späten 1960er-Jahren zu forschen. Motiv ist hier allerdings nicht Denunziation, sondern kritische Selbstbefragung. [...] [Karin Wetterau ist] einer differenzierteren Wahrheit auf der Spur und setzt sich ernsthaft mit den Folgewirkungen familiärer NS-Bindungen, der Rolle der Nation in Ideologie und politischem Programm sowie autoritären Tendenzen im Umfeld des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) auseinander. [...] Zu den wichtigsten Resultaten der Studie gehört die Erkenntnis, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht im Zentrum der Revolte stand, sondern „zur Vorgeschichte von 68“ gehörte. [...] das ausgebreitete Material, bei dem Wetterau ausführlich auch ihren Umgang mit der eigenen Familiengeschichte preisgibt, ist schon überaus spannend. [...] Ihr Wert auch für die historische Forschung besteht darin, dieser auto- und kollektivbiografischen Spuren- und Identitätssuche beizuwohnen und zu verfolgen, wie sich die Akteure im Blick von heute einen Reim auf Zusammenhänge machen, die die meisten von ihnen als problematisch betrachten. Insofern kann man es als ein analytisches Buch über „1968“ lesen, aber mehr noch als eine Quelle zur erinnerungskulturellen und geschichtspolitischen Dimension von „1968“ aus der Sicht früherer Akteure. Diese zweite Lesart macht auch deutlich, dass es heute, 50 Jahre nach „1968“, in deren Reihen viele Stimmen gibt, denen schlichte Selbstdenunziation nicht genügt, sondern die sich um eine differenzierte Auseinandersetzung mit besonders schwierigen Aspekten des eigenen Tuns bemühen. Das ist nach Götz Alys einseitiger Interpretation und der Scheinevidenz von Mahlers und Rabehls Lebenswegen zweifellos ein Fortschritt.
Detlef Siegfried in „H-Soz-Kult“ (15.02.2018)
Karin Wetterau [...] hat eine panoramaartige Darstellung unter dem Titel „68. Täterkinder und Rebellen. Familienroman einer Revolte“ vorgelegt. Ihre bestens zu lesende Darstellung endet in dem Resümee, es sei die Leistung von 68 gewesen, „Scham und Schrecken ausgehalten zu haben, die Täter ermittelt und angeprangert und auch eine Sprache für das Leid der Opfer gefunden zu haben …“.
Michael Brumlik in „taz“ (06.03.2018)
Karin Wetterau wurde im SWR als Expertin dazu befragt, was von den Bestrebungen der 68er geblieben ist: Hier der Mitschnitt des Interviews (SWR aktuell, 12.01.2018)
Karin Wetterau liest aus ihrem Buch am Dienstag, 5. September 2017 in der Stadtbibliothek Bremen, Am Wall 201 (Wall-Saal) 19.00 Uhr. - Im Anschluss Gespräch mit der Autorin, zwei AktivistInnen von 1968, Susanne Schunter-Kleemann und Eike Hemmer, und dem Historiker Karl Heinz Roth. Moderation: Henning Bleyl. - In Kooperation mit: Stadtbibliohek Bremen, Heinrich Böll Stiftung Bremen, Bremer Literaturkontor, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bremen, Buchhandlung Leuwer.
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