Wer von Gefühlen, Empfindungen oder Emotionen spricht, sollte sich bewusst sein, dass darunter nichts Natürliches und Selbstverständliches zu verstehen ist. Dies gilt für die Erforschung der Gefühlskultur des 18. Jahrhunderts ebenso wie für die gegenwärtige Konjunktur der Emotionsforschung. Gerade der Blick auf die intensive Auseinandersetzung mit der Empfindung im 18. Jahrhundert lehrt, dass Empfindungen ihre Geschichte haben, dass sie auf vielfältige Weise im Subjekt hervorgebracht und intensiviert werden können. Empfindungen können aus der religiösen oder pädagogischen Praxis, aus den Künsten und den literarischen Moden stammen.
Die Beiträge des vorliegendes Bandes zeigen, dass dieselben Wissensgebiete, in welchen der Diskurs der Empfindung entsteht, in einer oft komplementären Dynamik deren 'negative' Abbilder formieren. In der Psychologie, Religion, Anthropologie, der schönen Literatur, den bildenden Künsten des 18. Jahrhunderts richtet sich der Blick auf eine beharrliche Auseinandersetzung mit einer komplexen und facettenreichen Unempfindlichkeit.
Katja Battenfeld / Cornelia Bogen / Ingo Uhlig / Patrick Wulfleff (Hgg.)
Gefühllose Aufklärung
Anaisthesis oder die Unempfindlichkeit im Zeitalter der Aufklärung
2012
ISBN 978-3-89528-854-8
345 Seiten
kartoniert
Katja Battenfeld studierte Germanistik und Anglistik an der Philipps-Universität Marburg und der York University. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind interkulturelle Beziehungen zwischen Deutschland und Großbritannien des 18. und 19. Jahrhunderts sowie die Dichtung und Prosa der Aufklärung mit besonderem Blick auf Phänomene der Erziehung und Bildung durch Emotionen.
Cornelia Bogen ist derzeit Post Doc-Stipendiatin des DAAD an der Tsinghua Universität, Beijing, China. Ihre Forschungs- und Publikationsinteressen sind: mediale Gesundheitskommunikation der europäischen Moderne, Mediennutzung älterer Menschen und interkulturelle Austauschprozesse über Medien(-technologien).
Ingo Uhlig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Gastprofessor für Ästhetik und Philosophie an der Kunstakademie Münster. Gegenwärtiges Forschungsprojekt ist eine Habilitation zur Theorie von Schlafzuständen während der Aufklärungszeit.
Patrick Wulfleff studierte Theologie und Germanistik an der Universität Siegen. Nach einem Stipendium im Graduiertenkolleg des Exzellenznetzwerkes Aufklärung-Religion-Wissen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wurde er 2010 an der Ruhr-Universität Bochum zum Dr. theol. promoviert.
Leseprobe: 9783895288548.pdf
Im vergangenen Jahrzehnt ist die geisteswissenschaftliche Forschung von einem beispiellosen Drang zur Emotion ergriffen worden. Gefühl, Affekt, Passion, Stimmung, Ekstase sowie begleitend dazu exprimierte Flüssigkeiten standen im Blick zahlloser Publikationen, Sonderexzellenzbemühungen und Jahrestagungen. […] Auf interessante Weise ergänzt wird das nun durch einen Sammelband zur Geschichte der Mangels an Emotionen („Gefühllose Aufklärung. Anaisthesis oder die Unempfindlichkeit im Zeitalter der Aufklärung“, hrsg. von Katja Battenfeld u.a., Bielefeld 2012). Schon im achtzehnten Jahrhundert nämlich, in dem viel gefühlt, geweint und nach innen geschaut wurde, fielen die Unerregbaren desto mehr auf. Als Melancholiker, bei denen ein Gefühl für alle anderen unempfänglich macht; als Orthodoxe, die sich den Glauben nur durch Vernunft und Frommsein erschließen wollten; als Ärzte, die selber nicht mitempfinden sollen. Das gilt selbst für die Dichter, denn Dichtung besteht ja aus Worten und nicht Tränen. Bei Winckelmann bewegt die griechische Plastik gerade durch eigene emotionale Stille. Und auch die Sozialtheorien der Aufklärung waren von der kultivierten Unempfindlichkeit des Theaterzuschauers fasziniert, dem es gelingt, zum räumlich Nächsten affektiven Abstand zu wahren. Soziale Ordnung erschien nur möglich, wenn von Gefühlen abgesehen werden konnte.
kau [Jürgen Kaube] in „Frankfurter Allgemeine“ (Geisteswissenschaft, 9.5.2012)
Gefühllose Aufklärung is a provocative collection of well-researched essays that elucidate a wide variety of aspects of Anaisthesis and its relation to sentimentalism in eighteenth-century literature and culture. This welcome contribution on Empfindsamkeit will be of interest to scholars in eighteenth-century literary and cultural studies, history, and philosophy.
Edward T. Potter in „German Studies Review“ (40/1 2017)