Im vergangenen Jahrzehnt ist die geisteswissenschaftliche Forschung von einem beispiellosen Drang zur Emotion ergriffen worden. Gefühl, Affekt, Passion, Stimmung, Ekstase sowie begleitend dazu exprimierte Flüssigkeiten standen im Blick zahlloser Publikationen, Sonderexzellenzbemühungen und Jahrestagungen. […] Auf interessante Weise ergänzt wird das nun durch einen Sammelband zur Geschichte der Mangels an Emotionen („Gefühllose Aufklärung. Anaisthesis oder die Unempfindlichkeit im Zeitalter der Aufklärung“, hrsg. von Katja Battenfeld u.a., Bielefeld 2012). Schon im achtzehnten Jahrhundert nämlich, in dem viel gefühlt, geweint und nach innen geschaut wurde, fielen die Unerregbaren desto mehr auf. Als Melancholiker, bei denen ein Gefühl für alle anderen unempfänglich macht; als Orthodoxe, die sich den Glauben nur durch Vernunft und Frommsein erschließen wollten; als Ärzte, die selber nicht mitempfinden sollen. Das gilt selbst für die Dichter, denn Dichtung besteht ja aus Worten und nicht Tränen. Bei Winckelmann bewegt die griechische Plastik gerade durch eigene emotionale Stille. Und auch die Sozialtheorien der Aufklärung waren von der kultivierten Unempfindlichkeit des Theaterzuschauers fasziniert, dem es gelingt, zum räumlich Nächsten affektiven Abstand zu wahren. Soziale Ordnung erschien nur möglich, wenn von Gefühlen abgesehen werden konnte.
kau [Jürgen Kaube] in „Frankfurter Allgemeine“ (Geisteswissenschaft, 9.5.2012)
Gefühllose Aufklärung is a provocative collection of well-researched essays that elucidate a wide variety of aspects of Anaisthesis and its relation to sentimentalism in eighteenth-century literature and culture. This welcome contribution on Empfindsamkeit will be of interest to scholars in eighteenth-century literary and cultural studies, history, and philosophy.
Edward T. Potter in „German Studies Review“ (40/1 2017)
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