Die Liebe als Grundkonstante des menschlichen Zusammenlebens gehört zu den universal verständlichsten Inhalten der Dichtung. Doch lassen sich an der Liebeslyrik auch die historischen Wandlungen gesellschaftsphilosophischer Diskurse ablesen. Das leistet eine Forschung Dorothee Ostmeiers, die an der Universität von Oregon in Eugene/USA lehrt. […] [Sie geht] der Frage nach, ob in der Lyrik dieser Zeit bereits jene Sex- und Gender-Problematiken aufscheinen, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Theorien von Luce Irigaray, Julia Kristeva, Judith Butler oder Emmanuel Levinas prominent werden sollten. […][Einige zu diskutierende] Punkte stellen die grossen Verdienste der Arbeit nicht in Frage. Sie sollte jedoch nicht als Persönlichkeitsbild von Prominenten gelesen werden, sondern als Analyse, die eine grosse historische Umbruchsituation der Sex- und Genderproblematik auf der Ebene der Sprache verfolgt.
Sabine Kebir in „junge Welt“ (25.09.2014)
Das Anliegen von Dorothee Ostmeiers Monografie [...] ist es, „die simultane Verschränkung von diskursiven Referenzen und autonomer Performanz der Lyrik“ anhand poetischer Zwiegespräche einander liebender AutorInnen aufzuzeigen. [...] Das Interesse der Autorin gilt nicht nur einem einzigen, sondern vier Paaren, [...]. Jedem der Paare ist ein eigenes Kapitel gewidmet. In ihnen zeigt Ostmeier, „wie die jeweiligen Gedichte die Kontakte der liebenden Partner kommentieren, reflektieren, expandieren oder modifizieren“. Hierzu unterzieht sie etliche Gedichte und andere Werke close readings, die sich regelmässig als sehr erhellend erweisen. [...] Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstandenen Gedichte vor dem Hintergrund feministischer Theorien aus dessen letzten Jahrzehnten zu beleuchten, erweist sich als durchaus fruchtbar. [...] Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Analysen der poetischen Dialoge und die close readings einzelner Werke [...] durchaus erhellend sind. Vor allem ist es instruktiv, die in den Gedichten verborgenen gender- und liebestheoretischen Vorstellungen vor dem Hintergrund poststrukturalistischer feministischer Theorien hervortreten zu lassen – ohne dass man darum jedoch gleich von einer Vorwegnahme dieser durch jene sprechen müsste.
Rolf Löchel in „Gender - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft“ (3/2016)
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