Die Autorin untersucht Ludwig Börne. Eine Denkschrift nicht wie üblich in einem politisch-ideologischen oder literaturgeschichtlichen Rahmen. Sie zeigt, dass Heines Revolutionspoesie die enge freiheitspolitische Emanzipationsperspektive der vormärzlichen Oppositionspublizistik überraschend durchbricht. Denn anders als beispielsweise Ludwig Börne sieht sich der Dichter der Arbeit an einem modernen jüdischen Selbstbewusstsein verpflichtet, dessen Konstruktion in der Überlieferung des Gottesnamens in Exodus 3,14 wurzelt, diese Überlieferung aber im Horizont des philosophischen Absolutismus’ Hegels begriffen wissen will.
Das ist auch der Kern seiner denkschriftlichen Revolutionspoesie, in der Heine sich nicht als sensualistischen Konterpart zum nazarenisch unsympathischen Börne, sondern im Spiel mit Hegels Begriff des Selbstbewusstseins als Knecht Israel(s) im Galut entwirft. Die Revolutionsgedanken unternehmen den Versuch, diesen Heine auf seiner denkschriftlichen Wanderung durch die unterschiedlichsten Textlandschaften zu beobachten und sowohl die werkbiografische als auch die textarchäologische und die zeitgenössisch politische Dimension interpretatorisch zu berücksichtigen. Dabei entsteht ein völlig neuer Blick auf die Börne-Figur: Es ist allein die im Kontext jüdischer Auslegung der Hegelschen Begrifflichkeit äußerst brisante Erhebung Börnes zu einem literarhistorischen Knecht, mit dem Heine in einem Atemzug die größte Solidarität wie die schärfste Differenz gegenüber dem liberalen Oppositionspublizisten auszudrücken vermag.
Jutta Nickel
Revolutionsgedanken.
Zur Lektüre der Geschichte in Heinrich Heines Ludwig Börne. Eine Denkschrift
2007
ISBN 978-3-89528-583-7
274 Seiten
kartoniert
Jutta Nickel, Jahrgang 1964, lebt als freie Übersetzerin in Hamburg. Sie studierte deutsche Literaturwissenschaft sowie Pädagogik in Hamburg, promovierte mit dieser Untersuchung und arbeitet zur deutsch-jüdischen Literaturgeschichte des Vormärz, zur Geschichte des Frühkommunismus und zu Walter Benjamin.
Die philosophische Dimension von Heinrich Heines Schriften ist in der Forschungsliteratur nach wie vor unterrepräsentiert. Wie produktiv deren Erarbeitung sein kann, zeigt Jutta Nickels kluge Studie „Revolutionsgedanken. Zur Lektüre der Geschichte in Heinrich Heines Ludwig Börne. Eine Denkschrift“. Es ist ein Kernthema von Heines Werk, das hier überraschend neue Beleuchtungen erfährt […].“Revolutionsgedanken“ [ist] eine herausragende Arbeit für die Heineforschung und insbesondere in zwei miteinander verbundenen Punkten wegweisend: Erstens werden die Revolutionsgedanken Heines aus der Konstruktion einer „selbstbewussten Knechtschaft Israels“ heraus aufgeschlüsselt und mithin aus einer spezifischen Reflexion von Hegels ‚Herr und Knecht‘-Figur. Vor diesem Hintergrund wird auch die Börne-Figur neu begriffen. Zweitens wird durchgängig - und für viele Texte erstmalig - der zuweilen verborgene biblische Intertext von Heines Schriften herausgearbeitet. […]
Esther Kilchmann in „literaturkritik.de“ (10/Okt. 2007)
Vollständig: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11217
Die Verfasserin leistet mit ihrer Studie einen wichtigen und überzeugenden Beitrag zur Heine-Forschung und ermöglicht damit ganz neue Einsichten nicht nur in die ‚Denkschrift’, sondern in Heines gesamtes Werk. Der Erkenntniswert der Studie ist daher enorm.
Thomas Stähli in „Heine-Jahrbuch“ 2009