„Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine", ein ebenso witziger wie unterschätzter Roman Alfred Döblins, steht im Zentrum dieser kulturgeschichtlichen Untersuchung der gesellschaftlichen Wissensbestände zu „Maske“ und „Kostüm“ im spätwilhelminischen Deutschland sowie ihrer literarischen Verarbeitung durch den Autor. Am Beispiel der „Kostümfestszene“ werden die Beziehungen zwischen Literatur, Theater, Film, bildender Kunst, Psychoanalyse und Ethnographie als Austausch von Wissensbeständen beschrieben. Die philologisch sorgfältige Analyse, die sich an Wissenssoziologie und Diskursanalyse orientiert, ermöglicht die Rekonstruktion zweier zeit- und gruppenspezifischer kultureller Muster: Das Authentizitätsmuster und die synkretistische Präsentation ethnographischen Wissens erweisen sich als vielfältig miteinander verflochten und fügen sich, dies verdeutlicht der Vergleich des ,Berliner‘ Romans mit seinem ,chinesischen‘ Vorgänger „Die drei Sprünge des Wang-lun“, in Döblins Konzept eines kulturellen Gedächtnisses ein.
Ira Lorf
Maskenspiele
Wissen und kulturelle Muster in Alfred Döblins Romanen »Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine« und »Die drei Sprünge des Wang-lun«
1999
281 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-261-8
Ira Lorf, geb. 1959, studierte Germanistik und Psychologie an der Universität Hamburg. 1997 Promotion mit der vorliegenden Studie. Veröffentlichungen u.a. zu Alfred Döblin, Arno Schmidt und zur interkulturellen Kommunikation. Sie lebt als freie Journalistin und Lektorin in Hamburg.
Die Begriffe 'Maskierung' und 'Demaskierung' stehen wiederum in engem Zusammenhang mit den Begriffsdichotomien, die das Werk Döblins durchziehen und die damals auch sonst im Bereich der Ästhetik, der Literaturkritik, der Philosophie und anderer kultureller Dsikurse debattiert wurden: Verstellung und Wahrheit, Schein und Sein, Fälschung und Authenzität, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit. Indem sie die verschiedenen Fassungen der 'Kostümfestszene' gegeneinander hält, weist Ira Lorf mit philologisch profunden Einzelergebnissen nach, wie Döblin solche oppositionellen Konstruktionen miteinander verknüpft und wie diese sich gegenseitig aufheben.
Christine Kanz in 'literaturkritik.de', Juni 2000
Ira Lorfs [...] Publikation zeichnet sich sowohl durch methodische Originalität als auch durch die außerordentlich dichte, einwandfrei belegte Information im einschlägigen germanistischen, literaturtheoretischen, wissenssoziologischen und ethnographischen Bereich aus. Daß die Argumentation gelegentlich etwas unübersichtlich wirkt, ist angesichts des Gewinns, den der Leser aus dem vorgelegten reichen Material und seiner adäquaten Interpretation zieht, zu verkraften. Eine ausführliche Bibliographie, ein Personenverzeichnis und zwei Bildbeilagen zum Thema „Masken der Naturvölker“ schließen den Band ab.
Werner Stauffacher in: "Arbitrium", 2/2000
In der Einleitung zur vorl. Studie (zugl. Univ. Hamburg, Diss., 1997) stellt die Verf. fest, daß der Wadzek-Roman (1914, Erstdruck 1918) selbst nach Arbeiten von E. Ribbat, W. Stauffacher und D. Dollenmayer u. a. sowie nach der Neuausgabe des Romans (1982) »immer noch ein Stiefkind der Döblin-Forschung ist« (15). Heute ist der Roman zwar noch kein Lieblingskind der Forschung, doch kann man nach dem Erscheinen von I. Lorfs besonders ergiebiger und jargonfreier Untersuchung mit Fug und Recht behaupten, daß Wadzek – die »Antwort« auf den ungleich bekannteren erstmals 1915 erschienenen Roman Die drei Sprünge des Wang-lun (213-239) – einen gerechtfertigt wichtigen Platz im Kanon des riesigen D.schen Oeuvres einnimmt. Zweifellos wird Lorfs Arbeit die Forschung anspornen, sich intensiver mit diesem Werk zu beschäftigen. – Lorfs Verdienst ist es, eine für die wissenschaftliche Beschäftigung mit D.s avantgardistischen Texten nach 1910 neue Methode anzuwenden: das wissenssoziologische System K. Mannheims und G. Bollenbecks, wobei D. einen »spezifischen 'sozialen Ort von Erfahrungen in einer bestimmten historischen Situation gründet'« (11). Lorf geht auf das damalige Sozialwissen über Masken und Maskierung ein, welche im Wadzek eine zentrale Rolle spielen. Die berühmte »Kostümfestszene« bekommt bei Lorf ein ganz anderes Gewicht, weil sie gründlich die Quellen (das damalige ethnographische Wissen um »primitive« und exotische Kulturen in den damaligen Kolonien) aufarbeitet, einschließlich zeitgenössischer graphischer Kunst. Fotos von entsprechenden Bildern von E. Nolde und K. Schmidt-Rottluff aus den Jahren 1912 und 1913 illustrieren Lorfs Bemerkungen (vgl. das Kap. »Exotik-(Still)-Leben«, 105-127). D.s künstlerische Verarbeitung dieser Stoffe gewinnt bei Lorf eine bahnbrechende, überaus anregende Dimension.
Anthony W. Riley in 'Germanistik', H. 3/4, 2001