Askese ruft heute zwiespältige Reaktionen hervor: Einerseits wird sie als historisch überkommene und potentiell heuchlerische Zwangsübung verurteilt, andererseits als angemessene Antwort auf aktuelle Probleme wie Reizüberflutung und Konsumterror gefeiert. Umgangssprachlich versteht man Askese als einen selbst gewählten Verzicht auf körperliche oder psychosoziale Grundbedürfnisse, der auf Höheres zielt. Typische Ausprägungen sind beispielsweise religiös motiviertes Zölibat, säkulare Formen der Enthaltsamkeit zur Produktivitäts- und Leistungssteigerung von Sportlern, Künstlern und Managern, aber auch medizinische Krankheitsbilder wie die Anorexia nervosa. Der Band zeigt aus interdisziplinärer Perspektive, wie vielfältig, historisch wandelbar und bis heute allgegenwärtig verschiedene Praktiken selbst gewählter Enthaltsamkeit sind. Die einzelnen Beiträge gehen davon aus, dass asketische Praktiken der geschlechtsspezifischen Konstitution von Subjekten dienen und dass sie als prozessual zu begreifen sind: Wo auf körperliche und seelische Grundbedürfnisse verzichtet wird, um höhere (transzendente oder innerweltliche) Ziele zu erreichen, lässt sich ein ambivalentes Wechselspiel zwischen Selbstaufgabe und Selbstermächtigung beobachten, also eine Dynamik von Mangel und Fülle, Enthaltsamkeit und Exzess. In diesem Sinne stellen Askese und Ekstase keine Gegensätze dar, sondern folgen einer ähnlichen Logik.
Irmela Marei Krüger-Fürhoff / Tanja Nusser (Hgg.)
Askese
Geschlecht und Geschichte der Selbstdisziplinierung
2005
ISBN 978-3-89528-492-2
252 Seiten
kartoniert
Irmela Marei Krüger-Fürhoff und Tanja Nusser sind Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Postdoc-Kolleg „Krankheit und Geschlecht“ der Universität Greifswald.
Die Aufsätze machen [...] deutlich, wie die (geschlechtsspezifische) Subjekt-Konstitution oder -Konstruktion zwischen Enthaltsamkeit und Lustgewinn ihre Entsprechungen in ästhetischen Gesatltungsprozessen haben – und umgekehrt. Kunst nicht – quasi asketisch – auf Subjektivität zu reduzieren, muss nicht bedeuten, ihre wechselseitige Abhängigkeit außer Acht zu lassen. Im Gegenteil: Hier gibt es noch vieles neue zu entdecken und zu beschreiben. Sowohl theoretisch als auch historisch und hinsichtlich der Gegenstandsbereiche sind Engführungen wünschenswert. Der Band hat dazu eine gute Vorlage geliefert.
Friedrich W. Block in „literaturkritik.de“ (Nr. 7, Juli 2005)
Vollständig zu lesen unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=8301
Der Sammelband enthält eine reichhaltige und überaus lesenswerte Sammlung differenzierter Untersuchungen des Phänomens Askese und seiner Überbietungslogik. Er stellt einen wesentlicher Beitrag zur Geschichte der Subjektkonstitution und deren geschlechtsspezifischer und ästhetischer Verfasstheit dar. Er dürfte weitere Untersuchungen anregen und wird in der Askeseforschung Nachhall finden. Allein der Bogen in die Gegenwart hätte prägnanter ausfallen können, denn die Moderne erscheint vor dem Hintergrund der präsentierten Details tiefgreifend von asketischen Praktiken durchzogen.
Sebastian Möckel in „Querelles-Net“ (17, Nov. 2005)
Vollständig zu lesen unter: http://querelles-net.de/2005-17/text17moeckel.shtml