vergriffen!
Die Romane E. Marlitts (1825-1887), alle in „Der Gartenlaube“, dem bürgerlichen Familienblatt des 19. Jahrhunderts erschienen, verfielen nach anfänglich begeisterter Zustimmung, die auch von der Anerkennung bedeutender Zeitgenossen getragen war, später im ‚main-stream‘ von Literaturhistorie und Feuilleton dem Verdikt „Trivialliteratur“ oder „Kitsch“ – von wenigen Gegenstimmen abgesehen. Marlitt (mit bürgerlichem Namen Eugenie John) gilt als die erste Massenschriftstellerin Deutschlands, was zwar auf die Verbreitung ihrer Werke – sie wurden massenhaft gelesen und weltweit übersetzt –, nicht aber auf deren Anzahl zutrifft. Sie schrieb (nur) zehn Romane und drei Erzählungen.
Die vorliegende Arbeit möchte das Trivialliteratur-Verdikt widerlegen und untersucht – geleitet vom Lesevergnügen der Autorin, aber auch von literaturhistorischem und soziologischem Interesse – Marlitts Romane auf dem Hintergrund ihrer Zeit, der Phase des bürgerlichen Zeitalters. Sie entdeckt aufgrund der Textanalyse eine Schriftstellerin (wieder), die unverbrüchlich an den frühbürgerlichen Idealen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und am humanen Denken der Aufklärung festhält, die nicht nur ein für ihre Zeit emanzipiertes Bild der Frau entwirft, sondern im Namen von Bildung und Aufklärung sich grundsätzlich kritisch mit den zunehmend erstarrenden Verhältnissen der bürgerlichen Epoche, ihren gesellschaftlichen Widersprüchen auseinandersetzt. Die genauere Betrachtung der Romane zeigt, dass E. Marlitt weder kunstlos direkte politisch-moralische Botschaften im Sinne einer Erziehungsliteratur verkündet, noch ihre ‚Sache‘ in gefühlsduseliger Argumentationslosigkeit ertränkt, sondern ihre Wirkung mit durchaus gekonnt eingesetzten Mitteln der Literatur, also kunstvoll, zu erzielen weiss.
Erika Dingeldey
Luftzug hinter Samtportieren
Versuch über E. Marlitt
2007
ISBN 978-3-89528-580-6
209 Seiten
kartoniert
Erika Dingeldey (geb. 1936): Nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Politik zunächst Tätigkeit als Lehrerin an Gymnasien, später in allen Phasen der Lehrerausbildung und in der staatlichen Curriculumentwicklung. Veröffentlichungen hierzu sowie zur Deutsch- und Politikdidaktik. Von 1987-1998 Direktorin des Hessischen Instituts für Bildungsplanung und Schulentwicklung sowie einer Nachfolgeinstitution.
„Die Marlitt“: Wenn sie überhaupt noch jemand kennt, dann als Prototyp der so genannten Trivial-, Konsum- oder - etwas positiver konnotiert - der (anspruchslosen) Unterhaltungsliteratur. [...] Gegen das Urteil „Trivialautorin“, das die Literaturgeschichte scheinbar unwiderruflich über Marlitt verhängt hat, legt Erika Dingeldey Revision ein. Eine neue Beweisaufnahme, die sie vorsichtig „Versuch über E. Marlitt“ nennt, kann - so viel sei vorweggenommen - tatsächlich einige, wenn auch nicht alle Indizien, die zu dem tradierten, bisher unangefochtenen Verdikt der Trivialität geführt haben, entschärfen oder sogar widerlegen. Wichtig ist der Ansatz ihres neuen Verfahrens: Es geht Dingeldey nicht darum, Marlitt einen ebenbürtigen Platz neben den „grossen“ literarischen Zeitgenossen, wie Fontane, Keller [...] oder Raabe, einzuräumen. Auch geht es ihr nicht um eine künstlerisch-ästhetische Rehabilitierung. Selbst Dingeldey, die bereits in der Einleitung umstandslos ihre grosse Sympathie zu Marlitt bekundet und sich als begeisterte und über Jahrzehnte treue Leserin offenbart, räumt ein, dass es an Sprache und Stil einiges auszusetzen gibt. Aber: Die wesentlichen Kriterien, die „Trivialliteratur“ aus literaturtheoretischer Perspektive erkennbar machen - stereotype Personendarstellung, eine unreflektierte und stark affirmative Schilderung gesellschaftlicher Verhältnisse sowie eine eklatant apolitische Haltung, die jede Art von kritischer Stellungnahme vermeidet - treffen, so Dingeldeys These, auf Marlitts Romane nicht zu. [...]
Das sachliche, abwägende, von überzeugenden Argumenten gestützte Plädoyer Dingeldeys in Sachen Marlitt kann das Urteil der inhaltlichen Trivialität aufheben. Die offenkundigen Schwächen in Stil und Darstellung von Marlitts Werk zu beschönigen oder gar zu widerlegen, lag nicht in der Absicht und im Ziel der Studie. Das benennt in drei Worten bereits der Titel der Arbeit: „Luftzug hinter Samtportieren“ - besser und kürzer lässt sich Marlitts (bürgerliches) Romanprogramm im späten 19. Jahrhundert nicht zusammenfassen.
Almut Vierhufe in „literaturkritik.de“ (22. Mai 2007)
(vollständig nachzulesen: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10700)
„Die frühere Direktorin des Hessischen Instituts für Bildungsplanung und Schulentwicklung findet in den Erfolgsromanen, die mit kurzen Anmerkungen zum historischen Hintergrund einzeln vorgestellt werden, bereits Ansätze zu einer vorurteilsfreien Bestandsaufnahme der bürgerlichen Gesellschaft. […] Nach dem langen Schweigen der Literaturwissenschaft sind solche Diskussionsvorlagen […] kein Ärgernis, sondern allenfalls längst überfällig.“
Thorsten Stegemann in „www.city-trends.de“
[…] Dingeldey’s book is a useful general introduction to the works of Marlitt.
Helga Druxes in „Monatshefte“ (Vol. 100, Nr. 1, 2008)
[…] neue Erkenntnisse über Eugenie John, ihre Zeit und ihr Schreiben […].
Cornelia Wenzel in „Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte“ (Heft 53/54, Juni 2008)