Anton Čechov wird in der Sekundärliteratur verkannt und missdeutet. Man feiert ihn als Dramatiker der Resignation und des Verzichts und – mit Blick auf seine Erzählungen – als tiefsinnigen Meister der kleinen Form. Dieser Verharmlosungstendenz setzt der vorliegende Essay eine sorgfältig belegte neue These entgegen: In Tat und Wahrheit erweist sich der grosse Russe als geradezu revolutionärer Autor, als einer, der die verhärteten Fronten der von Staat und Gesellschaft beherrschten Institutionen, etwa der Justiz oder der Psychiatrie, aufzubrechen wagt, als einer, der auch vor anarchistischen Lösungsansätzen nicht zurückschreckt. Doch hat die fundamentale Gesellschaftskritik, die in seinen Werken durchscheint, nicht einen mit Gewalt zu ertrotzenden Umsturz im Auge, sondern das Erwachen eines neuen, eines besseren Menschen.
Das hier entworfene Bild eines anderen Čechov überzeugt, weil in jeder Phase des Argumentierens fiktionale Texte an Selbstzeugnissen gemessen werden.
Peter Rippmann
Der andere Čechov
Ein Pamphlet
Aisthesis ESSAY Bd. 12
2001
79 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-316-9
Peter Rippmann, geb. 1925, ist nach langjähriger journalistischer Tätigkeit in Basel und Zürich zur Literatur zurückgekehrt. Promoviert mit einer Studie über G. Chr. Lichtenberg, gelten seine neueren Arbeiten Hans Henny Jahnn, Robert Walser, Hermann Broch und – mit dem vorliegenden Essay – Anton Čechov.
Aisthesis ESSAY