Das vielfältige Œuvre von Wilhelm Speyer umfasst frühe Dramen, erfolgreiche Gesellschaftsromane im Kontext der Weimarer Unterhaltungskultur (darunter der von der Kritik hochgelobte Ullstein-Roman »Charlott etwas verrückt«) und ebenso erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher (wie der immer wieder aufgelegte und auch verfilmte »Kampf der Tertia«). Speyer schrieb Romane, Erzählungen, einen Krimi, Reiseberichte, Feuilletons und Boulevardkomödien – teilweise in Zusammenarbeit mit Walter Benjamin, mit dem Speyer befreundet war. Im Exil verfasste er eines der wenigen deutschsprachigen Jugendbücher sowie u.a. die Chronik einer jüdischen Familie, »Das Glück der Andernachs«.
Die zehn Beiträge dieses Bandes bedeuten nichts weniger als eine Wiederentdeckung. Sie gehen Speyers Werk in seinen vielfältigen literarhistorischen und medialen Verflechtungen und Kontexten nach. Es sind detaillierte Werkanalysen, Analysen zum ›mondänen Roman‹, zur Kinder- und Jugendliteratur, zu den Speyer-Verfilmungen, über seine Beziehungen zu Walter Benjamin, zum Exil. Eine Bibliographie erschließt Speyers selbständige Schriften sowie die Übersetzungen und Verfilmungen seiner Werke.
Helga Karrenbrock / Walter Fähnders (Hgg.)
Wilhelm Speyer (1887-1952)
Zehn Beiträge zu seiner Wiederentdeckung
Moderne-Studien 4
2009
ISBN 978-3-89528-652-0
244 Seiten, Abb.
kartoniert
Helga Karrenbrock, Dr. phil., arbeitet als Literaturwissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen. 2005 wurde ihr die Festschrift »›Laboratorium Vielseitigkeit‹. Zur Literatur der Weimarer Republik« gewidmet. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Literatur der Weimarer Republik (Arbeiten über Georg Baumgarten, Walter Benjamin, Hans Havemann, Franz Jung, Hermann Kesten, Erich Kästner, Annemarie Schwarzenbach, Kurt Schwitters u.a.), sowie Kinder- und Jugendliteratur, worüber sie auch die Monographie »Märchenkinder – Zeitgenossen. Untersuchungen zur Kinderliteratur in der Weimarer Republik« (1995, 2. Aufl. 2002) geschrieben hat. Bei Aisthesis ist sie Mitherausgeberin des Sammelbandes »Autorinnen der Weimarer Republik« (2004) und der Neuausgabe von Speyers »Charlott etwas verrückt« (2008).
Walter Fähnders ist apl. Professor für Neuere Germanistik an der Universität Osnabrück und lehrte an der FU Berlin sowie den Universitäten Bielefeld, Karlsruhe und Klagenfurt. 2004 wurde ihm die Festschrift »Unruhe und Engagement. Blicköffnungen für das Andere« gewidmet. Er ist Verfasser von »Avantgarde und Moderne« (1998) und Mitherausgeber von »Der Blick vom Wolkenkratzer. Avantgarde – Avantgardekritik – Avantgardeforschung« (2000), »Autorinnen der Weimarer Republik« (2003); »Heinrich Mann (1871-1950)« (2005), »Nomadische Existenzen« (2007) und des »Metzler Lexikon Avantgarde« (2009). Bei Aisthesis gibt er die Reihen »Reisen Texte Metropolen« und »Moderne-Studien« mit heraus.
Leseprobe: lp-9783895286520.pdf
[...] Sein wichtigstes Werk, im Exil geschrieben und eine Art Vermächtnis, ist der stark autobiografisch gefärbte Roman „Das Glück der Andernachs“. Darin wird eine jüdische Berliner Familie, lebend in der Jägerstraße (in der auch Rahel Varnhagen wohnte), bereits im Jahr 1887 mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus konfrontiert. Dass der 1947 erschienene Roman zuletzt in den 1980er-Jahren vom S. Fischer Verlag aufgelegt wurde, zeigt, dass die Wiederentdeckung, die die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes suggerieren, wohl noch aussteht. Nicht viel besser steht es mit dem Jugendroman „Die Stunde des Tigers“ (1939), in dem Speyer auf Grundlage einer Pfadfinder-Geschichte für eine humanere Gesellschaft plädiert. Während man darüber streiten kann, ob die frühen Unterhaltungsromane einer erneuten Lektüre standhalten, sind es diese beiden Werke, die die Wiederentdeckung dieses Autors in besonderem Maße lohnen. Es gilt also immer noch, diesen „raren Vogel im Gefilde der Literatur“, wie Ludwig Marcuse ihn nannte, wiederzuentdecken.
Stefanie Hartmann in „literaturkritik.de“ (12/2009)
Die vollständige Rezension: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=13813
[...] Ob [den Beiträgerinnen und Beiträgern] mit ihrem Sammelwerk eine erfolgreiche Wiederentdeckung und Bekanntmachung Wilhelm Speyers gelungen ist, mag dahingestellt bleiben, - aber sie haben seinem Leben und Werk ein Zeugnis gesetzt und es für die deutsche Literaturgeschichte gesichert.
Wilbert Ubbens in „Informationsmittel für Bibliotheken“ (August 2010)
[...] [das] Moment des Nicht-Zeitgemäßen [macht] eine erneute Lektüre spannend und ergiebig. Fähnders und Karrenbrock, die schon 2008 bei Aisthesis den Roman „Charlott etwas verrückt“ wieder zugänglich gemacht haben, gebührt das Verdienst, Wilhelm Speyer dem Vergessen entrissen zu haben und mit ihm einen vielschichtigen, produktiven und erinnernswerten Zeitgenossen, vor allem der Literatur der Weimarer Republik und des Exils, wiederentdeckt zu haben.
Dieter Wrobel in „kjl & m. forschung.schule.bibliothek“ (11.1, 2011)
[...] Erhellend sind die Beiträge des Bandes auch dank der Einbettung der Textanalysen in lebens- und zeitgeschichtliche Zusammenhänge und der Einbeziehung der jeweiligen Publikations- und Rezeptionskontexte. Die Beiträge, die jeweils unterschiedliche Genres und Medien in den Blick nehmen, erhellen sich mit ihrer je spezifischen Schwerpunktsetzung wechselseitig. So erscheinen auch die kinderliterarischen Arbeiten nicht als isolierte Seitenstücke oder Nebenarbeiten; sie erschließen sich vielmehr im Werkzusammenhang. [...] Die Konzentration auf ästhestische Verfahren in genauer Lektüre verbindet die Beiträge; gattungsspezifische Strukturen werden dabei ebenso deutlich wie übergreifende Zusammenhänge. [...] Speyer erscheint in mehrfacher Hinsicht als ein Autor, der sich zwischen den Zeiten und den Welten bewegt. [...] Die differenzierten Analysen weisen [...] auch auf das manchmal Kompromisshafte und Unentschiedene der Texte hin, ohne Speyer den undankbaren Platz ‚zwischen den Stühlen‘ zuzuweisen. Der ‚wiederentdeckte‘ Speyer erscheint vielmehr als ein „Vermittler“ zwischen Publika, Medien, Kulturen und Zeiten.
Ute Dettmar: Rezension der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin (November 2011)
>[...] jetzt ist es an der Zeit, ein Werk, das sich von der Kaiserzeit bis in die Jahre nach 1945 erstreckt, ästhetisch und kulturgeschichtlich auszuloten. Ein vielversprechender Auftakt dazu ist mit den hier besprochenen Veröffentlichungen, der Neuausgabe des Romans Charlott etwas verrückt mitsamt seinem gehaltvollen Nachwort, und den zehn Einzeluntersuchungen gemacht.
Momme Brodersen in „IASLonline“ (Dezember 2011)
Die vollständige Rezension unter: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3141
Moderne-Studien 4