Theodor Gieseler (1805-1888), jüngster Bruder des großen Bonner, später Göttinger Kirchenhistorikers Karl Gieseler (1792-1854), entstammte einer bedeutenden Theologendynastie Westfalens und erlebte als Pfarrer in Hüllhorst bei Lübbecke das Aufkommen der Erweckung in Minden-Ravensberg. Er reagierte darauf 1838 mit dem Roman Der Religionszwist zu Bacherau, worin er dem Erweckungsprediger Johann Heinrich Volkening (1796-1877) als „Magister Dünkelbock“ ein satirisches Denkmal setzte. Dessen Streitigkeiten mit seiner Gütersloher Gemeinde, die im Erscheinungsjahr des Romans zum Wechsel nach Jöllenbeck führten, sind in Anlehnung an James Fenimore Coopers Die Ansiedler (1823, dt. 1826) auf nordamerikanische Verhältnisse übertragen worden. Gieselers Roman bietet ein zuverlässigeres Sittenbild der Erweckung als sämtliche Hagiographien und deren kirchenhistorische Kolportage; es ist mit Abstand das Beste, was Minden-Ravensberg zur Literatur des Vormärz beizusteuern hat, und hält einem Vergleich mit Texten von Grabbe, Weerth und Freiligrath durchaus stand. „Rationalismus“ heißt das bei Schulfüchsen, denen die Trauben des Geistes zu hoch hängen.
Theodor Gieseler (1805-1888)
(unter dem Pseudonym Theodor Friedberg)
Der Religionszwist zu Bacherau
Herausgegeben von Frank Stückemann
Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen, Band 59
Reihe Texte Band 28
2014
ISBN 978-3-8498-1055-9
265 Seiten
kartoniert
Der Herausgeber Frank Stückemann, seit 1991 Pfarrer in Soest-Meiningsen, promovierte 2008 über den westfälischen Aufklärer Johann Moritz Schwager. 2013 Mitherausgeber von dessen sämtlichen Romanen und einer Reisebeschreibung sowie des Schwager-Ausstellungsbandes Er war ein Licht in Westphalen im Auftrag der Literaturkommission für Westfalen. Weitere Publikationen zur Aufklärung in Westfalen (Voltaire, Möser, Benzler, Weddigen, Gieseler, Rischmüller), Übersetzungen (T. Corbière, Ch. Cros, J. Laforgue, G. Nouveau, E. Dowson, L. Johnson).
Leseprobe: 9783849810559.pdf
[...] Gieseler [beschreibt] sehr anschaulich die religiöse Kultur der Erweckungsbewegung. Die Kritik am eigenständigen Denken wird prägnant herausgestellt. Mit der Befreiung von dieser religiösen Unterdrückung besteht wieder die Möglichkeit des eigenständigen Denkens. [...] Der Roman ist zweifelsohne ein interessantes kulturelles Dokument, das die Enge eines autoritätsorientierten Glaubens in satirischer Form darstellt. Ein lesenswertes Buch.
Dirk Fleischer in „Das Historisch-Politische Buch" (4/2015)
Der Religionszwist zu Bacherau Diese Satire auf den Pietismus und die Erweckungsbewegung liegt hier in einer vorbildlichen Edition vor, die den Leser auch mit den Entstehungsbedingungen des Romans und seine Rezeption vertraut macht. Theodor Gieseler (1805–1888) entstammte einer bedeutenden Theologendynastie Westfalens und erlebte als Pfarrer in Hüllhorst bei Lübbecke das Aufkommen der Erweckung in Minden- Ravensberg, deren Vernunfthass ihn zur satirischen Notwehr trieb, wie der Herausgeber verrät. Gieseler reagierte 1838 mit dem hier vorgelegten Roman, in dem der Erweckungsprediger Johann Heinrich Volkening (1796– 1877) als »Magister Dünkelbock« ein satirisches Denkmal erhält. Zu Recht weist Stückemann darauf hin, dass der Roman ein zuverlässigeres Sittenbild der Erweckung bietet als sämtliche Hagiographien und deren kirchenhistorische Kolportage; es sei mit Abstand das Beste, was Minden-Ravensberg zur Literatur des Vormärzes beizusteuern habe und halte den Vergleich mit Grabbe, Weerth und Freiligrath stand.
Holger Böning in „Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte“ (18. Jahrgang, 2016)
Frank Stückemann [...] erfreut jetzt seine Leserschaft mit einer Neuausgabe eines weithin vergessenen, aber auch den heutigen Leser faszinierenden Romans aus der Zeit des sogenannten Vormärz. Es ist eine 1838 anonym veröffentlichte Erzählung, die kritisch, ironisch und insbesondere psychologisch die möglichen fragwürdigen Motive pietistischer Gemeindebildung aufdeckt und religionsphilosophisch über die Bedeutung des menschlichen Bewusstseins und der kritischen Vernunft für den Glauben reflektiert. [...]
Stefan Bitter in „Jahrbuch für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes“ (64-2015)
Der Roman handelt vom erbitterten Zwist zwischen den verschiedenen Parteiungen der Erweckungsbewegung und der Vernunftreligion vor dem Hintergrund eines diese Auseinandersetzung spiegelnden Liebesdramas. [...] Der Hrsg. hat den Text mit hilfreichen Anmerkungen versehen und ergänzt mit einem spannenden kleinen Briefwechsel zwischen Autor und Verleger. Die insgesamt positive Aufnahme des Werks wird mit Rezensionen aus Halle, Hamburg und Leipzig dokumentiert [...] Im Nachwort bietet der Hrsg. u. a. an, den Roman als satirischen oder psychologischen Schlüsselroman zu lesen. Die Rezensenten sind da ganz direkt: sie verstanden den Roman als ein »Conterfei deutsch-religiöser Zustände« und sprachen ihm durch seine lesbare Form und sein »religiöses Interesse« einen »Anspruch auf einen weiten Wirkungskreis« zu.
Bernd Füllner in „Germanistik“ (2017, Heft 1-2)
Veröffentlichungen der Literaturkommission für Westfalen, Band 59
Reihe Texte Band 28