Mit der hier vorgelegten Studie unternimmt Bodo Morawe den Versuch, die in der Metropole Paris, der Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, entstandenen Texte und Paratexte von Heinrich Heine erstmals als ein einheitliches Pariser Werk, ein sprachliches Kunstwerk sui generis zu lesen.
Für dieses Kunstwerk gilt, dass es über eine eigene Poetik, die Poetik eines ‚work in progress‘, verfügt, einer besonderen Programmatik, dem ‚programme républicain‘ der radikalen Pariser Linken, verpflichtet ist und zu seiner Deutung einer genuinen Hermeneutik bedarf, die im Sinne der Dialektik von Verfolgung und Schreibkunst den zu Zeiten der Restauration eklatanten Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit Rechnung trägt.
Im Mittelpunkt der zweibändigen Untersuchung steht programmatisch der Citoyen Heine. Morawe geht davon aus, dass man dem Pariser Werk nur dann gerecht werden kann, wenn man es, was bisher praktisch nie geschehen ist, in seinem französischen Kontext liest, dem es seinen historischen Rang, seine politische Brisanz und seine theoretische Virulenz verdankt.
Der Pariser Heine hat die Probleme seiner Zeit, die entfesselte Geldherrschaft einer schamlosen Machtelite, den tiefen sozialen Bruch zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen sowie das Phänomen der rasanten Beschleunigung der technisch-ökonomischen Prozesse, bereits im Zeichen der Globalisierung gesehen. Sein republikanischer Angriffswitz, seine bedingungslose Parteinahme für die Verfolgten und sein Gedanke einer Weltgesellschaft der Freien und Gleichen sind brisanter denn je.
Bodo Morawe
Citoyen Heine. Das Pariser Werk
Band 1: Der republikanische Schriftsteller
2010
ISBN 978-3-89528-766-4
402 Seiten
gebunden
Bodo Morawe, Dr. phil., war von 1970 bis 2002 Frankreich-Korrespondent des Westdeutschen Rundfunks. Interessengebiete: Radikale Aufklärung, französische Sozial-, Kultur- und Theoriegeschichte, Mentalitätsgeschichte des Citoyen, Heine und Büchner.
Leseprobe: 9783895287664.pdf
>[...] Der Autor geht davon aus, dass man dem Pariser Werk nur dann gerecht werden kann, wenn man es, was bisher praktisch nie geschehen ist, in seinem französischen Kontext liest, dem es seinen historischen Rang, seine politische Brisanz und seine theoretische Virulenz verdankt.
Jens Walter in „lehrerbibliothek.de“ (März 2010)
Die These dieses zweibändigen Werks ist klar: Die im Laufe eines Vierteljahrhunderts von 1831 bis 1856 in der französischen Hauptstadt entstandenen Texte Heines bilden ein einheitliches Ganzes, das nur bezogen auf seinen französischen Kontext, die politischen, sozialen und kulturellen Bedingungen der Hauptstadt der 19. Jhdts., der Metropole Paris, angemessen verstanden werden kann. Der geschichtliche Horizont der Metropole Paris also bietet die Folie für das Verstehen der Texte. Der Autor geht davon aus, dass man dem Pariser Werk nur dann gerecht werden kann, wenn man es, was bisher praktisch nie geschehen ist, in seinem französischen Kontext liest, dem es seinen historischen Rang, seine politische Brisanz und seine theoretische Virulenz verdankt.
Jens Walter in „lehrerbibliothek.de“ (Dezember 2010)
[...] Es handelt sich, grob verkürzt gesagt, darum, dass Morawe Zusammenhänge und Kontexte sichtbar macht, die allesamt Heine und sein Verhältnis zum Thema ›Republikanismus‹ betreffen, die wir aber bislang übersehen oder doch nur wenig beachtet haben. [...] Der Gewinn besteht darin, dass dem interessierten Leser [...] eine aufregende, ja erregende Lektüre ermöglicht wird, die es erlaubt, Morawes Leistung zu verstehen, wo nicht: nachzuvollziehen. Da ist zunächst der glücklich gewählte Titel. Überzeugend legt Morawe dar, dass Heine durchaus als Citoyen im Sinne der Großen Revolution begriffen werden kann, und er schlägt vor »das Pariser Werk als ein Pariser Werk zu lesen ›et vice versa‹« (I, 8). [...] Dabei besteht eine der wichtigsten Leistungen Morawes darin, dass er eine Reihe kaum anzufechtender Belege vorlegt, aus denen hervorgeht, dass mehrere der ›klassischen‹ Sätze und Gedanken Heines nichts anderes sind als von Heine nicht nachgewiesene, also unterschwellig als eigene ausgegebene Sätze (Gedanken) von Robespierre und St. Just [...]. Sagen wir es in aller Deutlichkeit: Der detaillierte Nachweis von Verbindungslinien zwischen dem frühen Pariser Heine und dem französischen Atheismusdiskurs des 18. Jahrhunderts – das ist ein neuer, originärer und ernsthaft kaum in Frage zu stellender Beitrag zur Gesamtproblematik Heine. [...] Wer Morawes Angebot aber ernsthaft widersprechen will, der muss bereit sein, sich seinen materialreichen und gedanklichen Voraussetzungen wie Herausforderungen zu stellen. Auf derartige Einlassungen dürfen wir gespannt sein. Morawes Werk jedenfalls historisiert nicht nur Heine, sondern auch unsere Gegenwart: Es zielt ins Schwarze der (nicht nur) bundesrepublikanischen Verhältnisse. [...]
Arnold Pistiak in „Das Argument“ (290/2011)
Bodo Morawes zweibändiges Werk „Citoyen Heine. Das Pariser Werk“ wurde am 11. Juli 2011 in der Sendung Andruck - Das Magazin für Politische Literatur im Deutschlandfunk vorgestellt: http://www.podcast.de/episode/2393526/Andruck_11_Morawe%3A_Citoyen_Heine, mit O-Tönen des Autors, u.a. diesem:
„Heine wird heute ein bisschen bagatellisiert. Der ist Liebkind für jedermann. Der ist keine Provokation mehr. Seinem Wesen nach ist er aber eine Provokation gewesen. Und man muss einfach diese subversive Energie, die in dem Text verborgen ist und die vermittelt ist mit dem Zeitkontext, dies muss man wieder deutlich machen, um Heine gerecht zu werden.“
Im Mai 1831 war der 33-jährige Heine am Ziel seiner Träume. Er zog, »um frische Luft zu schöpfen«, nach Paris, und obwohl ihn die Sehnsucht nach Deutschland nie verließ, hat er seinen Wohnsitz an der Seine nicht mehr aufgegeben. Hier entstand, von den »Französischen Zuständen« und »Deutschland, ein Wintermärchen« bis zu den »Geständnissen«, ein bedeutender Teil seines Werks. Über Heine ist oft, auch in jüngerer Zeit, geschrieben worden, aber selten so entschieden, wie es jetzt Bodo Morawe getan hat. Sein in zwei Bänden erschienenes Buch »Citoyen Heine. Das Pariser Werk« zeigt einen Dichter, dessen Strophen und Schriften, die seit 1831 entstanden, von den politischen Erfahrungen in Frankreich nicht zu trennen sind und bei aller Unterschiedlichkeit einem Programm folgen. Heine, der »heute ein bisschen bagatellisiert« wird, wie Morawe sagt, »Liebkind für jedermann«, ist in seiner Untersuchung ein entschiedener Republikaner, der die Ideen von 1789 nie aus den Augen verlor und gar nicht daran dachte, seinen Frieden mit allem Bestehenden zu machen, ein erbitterter Gegner von Geldherrschaft und Profitgier. Untersucht wird die Brisanz dieses Pariser Werks (die angesichts heutiger Krisen und Skandale, wie er betont, auch nicht verloren gehen kann), die unübersehbare Sprengkraft, die in den subversiven Texten steckt. Und er verfolgt eingehend die Schreibstrategien Heines, die Finessen, mit denen er, um die allmächtige Zensur zu überlisten, seine Konterbande fürs deutsche Publikum immer wieder getarnt hat. Lange umstritten und bekämpft, thront der Dichter heute im Olymp der Klassiker, gepriesen, verharmlost, seiner radikalen Botschaften meist beraubt. Morawe, in Frankreich lebender Literaturwissenschaftler und Journalist, bringt in dieser fundierten, weit ausholenden Studie die aufklärerischen, revolutionären Energien Heines überzeugend zum Vorschein.
Klaus Bellin in „Neues Deutschland“ (17.08.2011)
Bodo Morawe versammelt hier in zwei schönen, mit Auswahlbibliographie, Sach- und Personenregister ausgestatteten Bänden, was er in Jahrzehnten unermüdlicher Beschäftigung mit Heine und dem französischen Werkkontext an Erkenntnissen zusammengetragen hat. [...] Es ist dem Verf. unbedingt zuzustimmen, wenn er anführt, dass Heines Werk nicht ohne die politischen, sozialen und kulturellen Kontexte zu verstehen ist, denen sie entstammen. Diesen Kontexten hat er sich so ausdauernd und intensiv wie kaum ein anderer in der Heine-Forschung gewidmet [...], aus freien Stücken und als unabhängiger Geist. [...] Es wird nach der Lektüe schwerfallen, Heine erneut des Indifferentismus und des Ästhetizismus zu bezichtigen. Morawe kann belegen, dass Heine alles, was ihm wichtig war, zwischen 1831 und 1856 (mindestens) zweimal sagt. [...] Wer Morawe liest, wird sofort wieder neugierig in seinem Heine blättern.
Ortwin Lämke in „Heine-Jahrbuch“ (2011)
Es fällt schwer, unter zahlreichen eindrucksvollen Abschnitten einzelne besonders hervorzuheben. Literatur- und Medienhistoriker dürfte faszinieren, wie der Journalist Morawe Heine als Berufskollegen präsentiert, der für die seinerzeit bedeutendste und auflagenstärkste Tageszeitung auf dem europäischen Kontinent schrieb und als einziger kritischer und oppositioneller Intellektueller den Weg zum politischen Journalismus und der aktuellen Tagesberichterstattung ging. Beeindruckend auch die Abschnitte zur Strategie und Taktik des von Zensurmaßnahmen bedrohten politischen Schriftstellers, der die List der Herrschenden durch literarische Gegenlist und raffinierte Camouflage unterlief, nicht zuletzt durch das Stilmittel der ironischen Brechung. [& ] Summa summarum: Gerade den Lesern einer Zeitschrift, die sich als Brücke zwischen deutschem und französischem Kulturraum versteht und Literatur in ihrem politischen und sozialen Kontext begreift, sei diese Neuerscheinung ans Herz gelegt.
Fritz Nies in „Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte/Cahiers d’Histoire des Litteratures Romanes“ (35. Jg. Heft 3/4 2011)