„Der Beginn meines Schreibens fand auf einem anderen Stern statt“, konstatiert Durs Grünbein 2006 im Rückblick auf seine ersten Publikationen wie Grauzone morgens, Schädelbasislektion oder Falten und Fallen. Tatsächlich wird die von der Forschung für das frühe Schaffen festgestellte „Poetik des Fragments“, das Zerrissene des Versbildes, die Härte des Sprachduktus und der rasche Wechsel der poetischen Bilder mit der Jahrtausendwende von Dichtungen abgelöst, die sich zunehmend auf eine traditionelle Ästhetik rückbesinnen. Die Studie untersucht diese Werkzäsur. Sie vollzieht den entscheidenden Wandel innerhalb Grünbeins Ästhetik nach, deutet ihn als konsequente und notwendige Entwicklung und bietet so einen Gesamtüberblick über sein Schaffen.
Sonja Klein
»Denn alles, alles ist verlorne Zeit«
Fragment und Erinnerung im Werk von Durs Grünbein
2008
ISBN 978-3-89528-678-0
272 Seiten
kartoniert
Sonja Klein studierte Germanistik, Anglistik und Pädagogik. Seit 2002 arbeitet sie am Germanistischen Seminar der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Veröffentlichungen und Vortragstätigkeit u.a. zu Durs Grünbein, regionaler Kulturwissenschaft und kulturellem Gedächtnis.
In acht erhellenden und aufschlussreichen Kapiteln skizziert die Autorin auf insgesamt überzeugende Weise die Bedeutung des Themenkomplexes „Fragment/Erinnerung“ innerhalb von Durs Grünbeins lyrischen und essayistischen Arbeiten. [...] ab und zu [werden] persönliche Gespräche mit dem Schriftsteller selbst zitiert, die im Allgemeinen die exegetische Qualität der Arbeit bestätigen und die Gültigkeit der Vermutungen und Formulierungen unterstützen. Verdienstvoll zieht Klein vor allem Gedichte und Sammlungen der späteren grünbein'schen Produktion in Betracht, die in der Forschungsliteratur über den Dichter noch nicht systematisch und tiefgründig analysiert worden sind. [...]
Daniele Vecchiato in „literaturkritik.de“ (Oktober 2008)
Vollständig: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12349
In ihrer lesenswerten Studie des gefeierten Dichters weist Sonja Klein feinspurig nach, in welchem Maße Grünbeins „Hinwendung zu den antiken Metren wie Themen, zyklischen und motivischen Bindungen“ (8) einer Akzeptanz der „Sterblichkeit allen Seins“ (239) dient und gleichsam einen poetischen „Dialog mit den Toten“ ermöglicht.
Karl Ivan Solibakke (Syracuse University) in „German Studies Review“ 33/3 (2010)
[...] Kenntnisreich navigiert Sonja Kleins Studie auf den intertextuellen Bezugsfeldern von Grünbeins Lyrik und macht, nicht ganz ohne Entdeckerstolz, Marcel Prousts monumentalepische Recherche als „,Grundlagenwerk‘“ (S. 238) für Grünbeins Dichtungen dingfest. Das gilt vor allem für Grünbeins nach 1999 entstandene Werke, mit denen die Verfasserin eine neue Phase eingeläutet sieht. Aus der in Zeilenbild und Wortsetzung sichtbaren Fragmentpoetik sei eine Ästhetik mit eher traditionell ausgerichteten Sonden geworden. Das Gedicht als Fragment sei ein inkomplettes, aber den Ganzheitsbezug nie loswerdendes Mosaik aus verlorenen und rekonstruierten Erinnerungen. Das ist ein zu weiteren Überprüfungen einladendes Forschungsergebnis dieser feinsinnigen und findigen Studie. Die so gewonnenen Befunde auf den Dialog mit den Neurowissenschaften auszuweiten, wäre eine reizvolle Fortsetzung: Denn ohne ihr fragmentarisches Wissen wäre Erinnerung für Durs Grünbein nur ein „Häuflein Sand in einer Wanderdüne aus Neuronen.“
Michael Braun in „Arbitrium“ (2012)