Wenn die Schweiz einen Nationalschriftsteller hat, dann ist es Max Frisch. Seine Kanonisierung und Einverleibung durch die offizielle Schweiz ist insofern eine Ironie der Geschichte, als sich Frisch je länger, je mehr zum Kritiker seines Landes entwickelt hatte, wie Yahya Elsaghe in seiner aufschlussreichen Studie zeigt. […] In „Max Frisch und das zweite Gebot“ unterzieht Elsaghe Frischs populärste und am stärksten kanonisierte Werke, „Andorra“ und „Homo faber“, einer kritischen Relektüre. […] Am „ziemlich epigonalen Text“ [Andorra][…] sei in der Rezeption vorwiegend die antisemitismuskritische Botschaft wahrgenommen worden. Doch das im Drama gezeichnete Bild des Anderen („des“ Juden) sei durchaus problematisch. […] [Auch] „Homo faber“ sei ein „erstaunlich eigenwilliger Text“, schreibt Elsaghe. [D]ie Frisch-Lektüre scheint gerade angesichts ihrer dunkleren Stellen lohnend.
läu in „NZZ“ (28.10.2014)
Dass der frühe Frisch eher rechtskonservativ einzuordnen war, wusste man, [...], dass aber nun mit den Ansätzen postkolonialer Studien sozusagen schweres Geschütz aufgefahren wird, [...], führt im ersten Moment zumindest zu einer automatischen Abwehrreaktion. Aber wenn dann die ausführlichen Belege geliefert werden, schwindet mehr und mehr die Skepsis. Elsaghe hat mit seiner material- und argumentationsreichen Studie eine neue, ideologiekritische notwendige Sicht auf das Werk möglich gemacht. Und diese Sicht überzeugt. [...] Elsaghes Buch [...] hat der Frisch-Forschung einen neuen Ansatz geschaffen. Seine Erkenntnisse sind schwerwiegend und müssten nun am Gesamtwerk auf die Probe gestellt werden. Er hat Frisch dabei keineswegs „abgewickelt“, sondern zu weiterer Auseinandersetzung eingeladen, die am Ende zu einer Positionsbestimmung seines Werks in der europäischen Literatur des 20. Jahrhunderts führen wird. Als Ikone der engagierten deutschsprachigen Literatur wird er dann allerdings nicht mehr gelten können. Das Buch [...] besticht auch durch seine Sprache und den bei aller methodischen Klarheit unkonventionellen Zugriff auf den Gegenstand.
Michael Dallapiazza in „Comparatio“ (Band 8; Heft 2; 2016)
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