Artikel-Nr.: 978-3-89528-312-3
2Eine Seltenheit: Ein Staatsoberhaupt und eine Schriftstellerin korrespondieren miteinander. 62 Briefe – 21 von dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV, 41 von Bettina von Arnim, von ihr dazu viele Beilagen, die dem König Kenntnisse verschaffen sollen, die auf andere Weise die Barrieren seiner Räte nicht hätten passieren können. Außer einer 1902 erschienenen Publikation mit dem, was damals zu erreichen war (27 Briefe Bettinas, 2 des Königs), wurde die Korrespondenz, die für das Werk dieser Schriftstellerin wesentlich ist, bisher nicht publiziert. – Die verfälschende Überlieferung der unpolitischen Schwärmerin wird damit nachhaltig korrigiert. Das Bild der großen Liebenden gewinnt schärfere Konturen, ihre politische Kompetenz wird unbestreitbar. Diese Einheit von Öffentlichem und Privatem, wie sonst in Bettina von Arnims Werken, so auch in den Briefen an Friedrich Wilhelm IV spürbar, erweist das Fragwürdige einer Trennung dieser Sphären.
Diese Publikation wendet sich nicht allein an ein Fachpublikum, sondern ist darauf angelegt, durch ausführliche Kommentare zu Zeitereignissen und Personen auch anderen Interessenten verständlich zu sein. Dazu verschaffen zeitgenössische Texte zum jeweiligen Thema von Dritten oder an Dritte einen Einblick in die historischen Dimensionen, die dieser Briefwechsel berührt hat. Die bildreiche, überschwengliche Sprache – besonders Bettinas – macht heutigen Lesern den Zugang nicht leicht, aber wer sich darauf einläßt, gewinnt Einsichten, die immer noch gültige Antworten auf Fragen menschlichen Zusammenlebens geben.
Daten |
Ursula Püschel (Hg.) "Die Welt umwälzen – denn darauf läufts hinaus" Der Briefwechsel zwischen Bettina von Arnim und Friedrich Wilhelm IV. 2001 2 Bände 757 Seiten gebunden ISBN 3-89528-312-6 |
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Autoreninfo |
Ursula Püschel, Studium der Germanistik und Promotion in Berlin/DDR. Kritische und essayistische Arbeiten über deutsche Gegenwartsliteratur, Frauenliteratur, arabische und afrikanische Literatur und über Theater. Zahlreiche Veröffentlichungen über Bettina von Arnim; die erste, 1954, wies Bettina von Arnim als Autorin der »Polenbroschüre« (anonym 1849) nach. |
Aus der Kritik |
Das Briefeschreiben war ihr von Jugend auf geläufig. Als Tochter italienisch-deutscher Eltern wurde sie 1785 in einem wohlhabenden Frankfurter Bürgerhaus geboren und von ihrer Grossmutter Sophie La Roche, die 1771 einen vielbeachteten Briefroman veröffentlicht hatte und mit vielen Berühmtheiten korrespondierte, erzogen. So wuchs sie gleichsam mit der Feder in der Hand auf. Ihr Bruder Clemens Brentano war ihr engster Vertrauter und wichtigster Briefpartner, bis sie 1811 Achim von Arnim heiratete. Je grösser ihre Kinder - vier Söhne und drei Töchter - wurden, desto länger blieb sie in Berlin, und ihre Briefe von dort nach Wiepersdorf und Bärwalde, wo Arnim wirtschaften musste, füllen zwei Bände. Sie halten den Alltag einer Ehe fest, die den Freunden als ideale Verbindung gegolten hatte und mit Arnims Tod 1831 endigte. Anzuzeigen ist ein editorisches Großereignis, auf dessen Erscheinen die Vormärz-Forschung schon seit geraumer Zeit gewartet hat: Indem Ursula Püschel nämlich 99 Jahre nach der verdienstvollen Publikation eines bescheidenen Teils der Quellen durch Ludwig Geiger nun den gesamten überlieferten Briefwechsel Bettine von Arnims mit dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV vorlegt, macht sie erstmals eine der wichtigsten politischen Korrespondenzen der vierziger und frühen fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts zugänglich. Der Informationszuwachs verdient dabei enorm genannt zu werden: Im Vergleich zu den 29 Schriftstücken in der alten Ausgabe, worunter nur zwei von Friedrich Wilhelm IV. waren, kann Püschel mit insgesamt 62 Briefen mehr als die doppelte Anzahl an Dokumenten präsentieren; der Anteil des Königs ist sogar um mehr als das Zehnfache angewachsen und nimmt nun mit 21 Schreiben ein gutes Drittel der Korrespondenz ein. Doch Püschel publiziert beileibe nicht nur die zwischen der berühmten Schriftstellerin und dem preußischen Staatsoberhaupt gewechselten Briefe, sie reichert diesen Kernbestand durch eine weitausgreifende Zusammenstellung von epistolaren Quellen an, die den Rahmen gewöhnlicher Briefeditorik bei weitem sprengt. Dies beginnt zunächst bei den zahlreichen Beilagen, mit denen Bettine von Arnim ihre Schreiben begleitet hat. Es handelt sich dabei um insgesamt 20 Briefe sowie die Abschrift einer Rede und die gedruckte Rezension eines von Bettines Werken. Aus dem beträchtlichen Umfang dieser Beigaben lässt sich ersehen, wie sehr sich Bettine von Arnim in dieser Korrespondenz zum Sprachrohr und zur Mittlerinstanz für dritte Personen gemacht hat. Sie sorgte dafür, dass Friedrich Wilhelm IV. mit Originalzeugnissen konfrontiert wurde, die er sonst vermutlich nie zu Gesicht bekommen hätte. Neben diesen Beilagen, die natürlich sehen kommunikationslogisch als integraler Bestandteil des brieflichen Austausches gewertet werden müssen, stellt die Herausgeberin als „Hintergrundsmaterialien" aber auch noch „Schriftstücke" zu solchen „Fakten oder Personen" zusammen, „um die es in den Briefen geht oder die die Überbringer betreffen" (S. 447). Des weiteren druckt sie auch all jene "Briefe und Entwürfe" von Schreiben Bettines an den König ab, „deren Absendung nicht erwiesen ist" (S. 653). Püschels Edition bietet also neben den eigentlichen brieflichen Überlieferungsträgern eine umfassende Dokumentation des Korrespondenznetzes, in das die Kommunikation mit Friedrich Wilhelm IV. eingebunden war. |