Artikel-Nr.: 978-3-8498-1155-6
Hans Bischlager unternimmt es, Merleau-Ponty neu zu lesen, weil er in dessen Philosophie eine Dimension des „Zur-Welt-Seins“ beschrieben findet, ohne deren Wahrnehmung die gefährlichsten Probleme der Menschheit wie die Natur- und Klimazerstörung, die Herrschaft von Gewalt und Kriegen nicht zu lösen sein werden. Einzelmaßnahmen des distanzierten objektivistischen Denkens führen nicht zum Ziel, wenn nicht eine auf die leibliche Existenz gegründete teilnehmende Wahrnehmung einen neuen Weltbezug für alle eröffnet. Der Autor sieht die von Merleau-Ponty dargestellte Infrastruktur dieser Wahrnehmungsweise, wenn sie nicht bewusstseinsphilosophisch missverstanden wird, als Basis für das notwendige Umschwenken im gesamten Verhalten zur Welt.
Daten |
Hans Bischlager Die Öffnung der blockierten Wahrnehmung Merleau-Pontys radikale Reflexion 2016 ISBN 978-3-8498-1155-6 251 Seiten kartoniert |
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Inhalt |
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Autoreninfo |
Hans Bischlager studierte Philosophie an der Univ. Innsbruck, war Mitarbeiter an der Hochschule für Philosophie München im Bereich Kulturphilosophie und am Institut für Historische Verhaltensforschung der Univ. Stuttgart. Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den Umbrüchen in der Weltwahrnehmung am Beginn des 20. Jahrhunderts. |
Lese-/Hörprobe |
Leseprobe: 9783849811556.pdf |
Aus der Kritik |
[...] Jede philosophische Bemühung – sei sie ethischer, ästhetischer, erkenntnistheoretischer, ontologischer oder politischer Natur – darf und muss [...] vom Leib als Nullpunkt unseres materiell-biologischen sowie psychosoziokulturellen Koordinatensystems ausgehen. Das hat zur Folge, dass Leibliches und damit die Natur als Maßstab und Basso continuo selbst in hochgeistigen Debatten und Problemstellungen mit enthalten ist und nicht eliminiert werden darf. Auch als denkende und um Erkenntnis ringende Menschen sind wir Teil der Natur – ein Faktum, an das uns Phänomene wie Hunger, Krankheit, Müdigkeit, Schlaf oder Sexualität erinnern, und das wir aufgrund unserer Bewusstseins-Hybris immer wieder gerne vergessen und verdrängen. Hans Bischlager hat diesen Gesichtspunkt sehr konsequent und gekonnt in den Mittelpunkt seiner Merleau-Ponty-Studie gerückt. Anhand ausgesuchter Problemfelder (Zwischenleiblichkeit, Kunst, Wahrnehmung, Sprache) gelingt es ihm zu zeigen, welch zukunftsweisendes Potential im Denken Merleau-Pontys enthalten ist, sobald man dieses nicht im Sinne einer Bewusstseins-, sondern vor allem einer Leibphilosophie begreift. In enger Anlehnung an das Gesamtwerk des französischen Phänomenologen unternimmt der Autor eine minutiöse Lektüre der immer weiter sich entwickelnden komplexen Gedankenwelt, verrechnet sein Referat souverän mit der gesamten Philosophie- und Geistesgeschichte, von der Antike bis zur unmittelbaren Gegenwart. Zentral ist dabei die Polemik gegen die vertrauten Denkmechanismen von Subjekt und Objekt, um das daraus resultierende „herrschende objektkonstituierende Denken“ [...] Hier stehen Merleau-Ponty, mit ihm Bischlager, in bester philosophischer Tradition: diese nimmt mutig Stellung zur (Tages-)Politik. [...] Die Gegenposition zu diesem Mainstream wird in nicht weniger als 10 Kapiteln kenntnisreich und engagiert entwickelt und abgearbeitet. [...] Diese durchaus spannenden Analysen werden gewürzt durch Ausflüge in die damals herrschende Gestalttheorie. Dabei darf man vor allem die scharfsinnige Auseinandersetzung mit der bisherigen Rezeption des Merleau-Ponty’schen Oeuvres goutieren. Das gesamte Kapitel X dient dieser Auseinandersetzung, in Darstellung und Widerlegung einschlägiger Interpretationen aus Deutschland, England und USA. Da leuchtet manches polemische Feuer auf. Gewiss, das Buch ist nicht leicht zu lesen, belohnt aber durch die nie nachlassende Dichte und Präzision in Ausdrucksreichtum und Gedankenführung. Häufig werden konkrete Beispiele zur notwendigen Erhellung der gedanklichen Basis vorgestellt. [...] Dankbar dürfte der Leser für manche belles pages sein, schöne Seiten zu Leib und Leben: da sind ganze Abschnitte von poetischem Zuschnitt, besonders wenn sich Bischlager [...] zu Kunst und Musik äußert. Das Buch möchte dem intellektuellen Hochmut und den spalterischen Tendenzen in der objektivierenden, vor allem analytischen, positivistischen, sich Einzelwissenschaften wie Physik oder Biologie anbiedernden Philosophie etwas entgegensetzen. Eine solche Radikalkritik ist auch an der Zeit. [...] Bischlager spricht von der Philosophie als einer „Wahrnehmungs- und Existenzweise“ [...] und einem medial eingebetteten „Stil, die Welt zu bewohnen“ [...]. Diesem philosophischen Stil möchte das Buch Geltung verschaffen, und das zu Recht. Es plädiert für das Wahrnehmen und eine ästhetische Bildung im ursprünglichen Sinn des Wortes, um der zweckrationalen Schulung zum isoliert-autonomen Subjekt etwas entgegenzusetzen. |