Von Briefwechseln abgesehen, treffen wir in der Weltliteratur erstaunlich selten auf Werke, die Namen von zwei Autoren tragen oder ein Pseudonym, das für zwei Namen steht. Umso häufiger aber verbirgt sich in Genese und Genealogie eines Werks noch ein anderer Name als der genannte, sei es z.B., dass eine reale Person den Schaffensprozess initiiert oder begleitet hat, sei es, dass textuelle Einflüsse gewirkt haben. Die Ausdrucksformen der künstlerischen Partnerschaften sind unendlich, ihre geschlechtlichen und generationenübergreifenden Konstellationen vielfältig. Wie dem auch sei, das «nahe» Du – und nicht nur der ferne Dritte als Adressat und antizipierter Leser – übernimmt beim literarischen Schaffensprozess einen entscheidenden Part, der sogar «dialogische» Texte hervorbringen kann (für sie wurde der Begriff der «Bi-Textualität» geprägt). Der grandiose, höchst welthaltige Sammelband «Das literarische Paar / Le couple littéraire. Intertextualität der Geschlechterdiskurse» mit 29 Beiträgen bezieht sich auf Autoren aus dem deutschsprachigen und romanischen Raum, deren Spektrum von Elisabeth de Bohême / René Descartes über u. a. Georg Forster / Therese Huber, Hölderlin / Sinclair, Flaubert / Maupassant bis zu Else Lasker-Schüler / Herwardth Walden, Catherine Pozzi / Paul Valéry, Veza und Elias Canetti, Elsa Morante / Alberto Moravia und Julia Kristeva / Philippe Sollers reichen. Dabei kommen naturgemäss vor allem Werke zur Sprache, in denen die Partnerschaft Spuren auf der textuellen Ebene hinterlassen hat. In den kritisch-hermeneutisch oder diskurstheoretisch orientierten Beiträgen wird deutlich, dass vieles, was die Frauenforschung bisher für «wirklich» hielt, nur eine Konstruktion der Wirklichkeit war oder jedenfalls einem komplexeren Sachverhalt geschuldet ist als geschlechtsbedingten Hierarchiestrukturen.
jnk in „Neue Zürcher Zeitung“ (10.07.2004)
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