Den Faust muss man lesen – und zwar langsam und sorgfältig. Im vorliegenden Aufsatzband wird zunächst die Einheit des Faust-Textes verständlich gemacht. Es ist zum einen die Tragödie des Wissens oder besser des Wissenwollens, also die Magistertragödie, die das Ganze zusammenhält. Zum anderen die Tragödie der Margarete - die in der Regel trivialisiert wird als die Geschichte eines jungen Mädchens, das verführt wird. Goethe stellt uns aber keineswegs ein naives Gretchen vor, sondern eine junge, lebenserfahrene Frau, die aufgrund ihrer hohen Teilnahme- und Hingabefähigkeit in ihrer tiefsten leiblich-seelischen Existenz zerrissen wird. Herzdissoziation nennt Böhme das.
In den nächsten Kapiteln wird exemplarisch gezeigt, wie durch close-reading einzelner Textpartien sich auch das Ganze dem Verständnis erschließt. Da ist zum einen die alte Frage, ob Faust eigentlich seine Wette mit Mephisto verloren oder gewonnen hat. Genauer analysiert wird hier die Szene mit Helena, in der Faust dem Verweilen im Augenblick am nächsten kommt. Zum anderen wird durch Analyse eines ganz bestimmten literarischen und kulturgeschichtlichen Topos, des Schemas der vier Elemente, gezeigt, wie der ganze Faust-Text durch die Tradition alchimistischen Denkens geprägt ist.
Schließlich wird der Faust von seinen geflügelten Worten her betrachtet. Das führt zu einem durchaus trivialisierenden Verständnis des Faust - trifft aber auch einen Grundzug: Tatsächlich hat Goethe, der sich ja nicht als Philosoph verstehen wollte, doch eine starke Neigung zur Weltweisheit. Man konnte ihn ohne weiteres in die Reihe der großen Moralisten, also die Reihe von Montaigne bis Nietzsche oder Adorno stellen.