Die in diesem Band vorgelegten dreizehn Berichte von Frauen, die aus dem Osten Deutschlands, aus Polen und der Tschechoslowakei vertrieben wurden, entstanden großenteils schon in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre und waren von Marianne Weber, der Witwe Max Webers, bereits in den frühen 50er Jahren unter dem Titel „Schicksalssammlung“ zur Veröffentlichung bestimmt und zum Druck vorbereitet. Die vergeblichen Versuche, diese Dokumente in Göttinger und Heidelberger Verlagen zu publizieren, sind im Anhang nachgezeichnet. Nach Marianne Webers Tod 1954 gelangte das Konvolut mit anderen Archivalien ins Staatsarchiv München, wo es im Weberschen Nachlaß jahrzehntelang unbeachtet blieb.
Das Marianne Weber Institut in Oerlinghausen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die inzwischen 60 Jahre alten Dokumente biographischer Katastrophenerfahrungen zu veröffentlichen – werfen sie doch mit individuellen Brechungen Licht auf traumatisierende Erlebnisse und Grenzerfahrungen, die zu den unmittelbaren Folgen der Nazidiktatur zu rechnen sind. Die heute nur schwer vorstellbaren desolaten Lebensbedingungen am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit, wie sie in diesen Berichten geschildert sind, lassen die Brutalität dieses (wie eines jeden) Krieges erkennen, die sogar vor Frauen, Kindern und Gebrechlichen nicht haltmacht; schlimmer noch: gerade sie die Verbrechen der Nazis entgelten läßt: „Was die Deutschen als Sieger gesündigt haben, wurde von diesen Menschen im Osten gebüßt“ (Marianne Weber).
Marianne Weber
Frauen auf der Flucht
Aus dem Nachlaß von Max und Marianne Weber
Hrsg. vom MARIANNE WEBER INSTITUT e.V.
2005
ISBN 978-3-89528-517-2
378 Seiten
kartoniert
[...] beeindruckende Sammlung [...]: Was die Frauen erzählen, imponiert durch Authentizität, ihre Erinnerungen sind bald nach den Ereignissen und nicht erst Jahre später niedergeschrieben worden. Ihre Berichte geben bestürzende Einsichten in einen Ausnahmezustand, in dem das Willkürrecht der Sieger herrscht, allenfalls der Appell an Menschlichkeit gelegentlich gefährliche Situationen entschärfen und manche List die Gefahr abwenden hilft. Höchste Not, Lebensgefahr, Bedrohung stehen neben der unverhofften Chance, entkommen zu können. Aber auch im Grauen richtet sich erstaunlich Alltag ein, gibt es Momente selbstvergessenen Glücks und manche Skurrilitäten.
Manfred Strecker in „Neue Westfälische“ (26./27.05.2005)
[...] Die zusammengestellten Berichte spiegeln die Schicksale einzelner Frauen wider. [...] Sachlich nüchterne Texte stehen neben literarisch poetischen. Trotz der sich unterscheidenden Erlebnisse zeigen sich Gemeinsamkeiten in den Frauenschicksalen. Sie alle besannen sich auf das Wesentliche im Leben, lernten, [...] die Hoffnung nicht aufzugeben. Diese Hoffnung wurde aufrechterhalten durch einen festen Glauben, enge soziale Beziehungen und geistige Ideale. [...] Immer wieder vermischen sich in den von Marianne Weber gesammelten Berichten grauenhafte Schicksalsbeschreibungen [...] mit Momenten der Hoffnung [...]. Es ist kein Buch, das anklagt, sondern eines, das versucht zu zeigen, wie die Frauen ihr damaliges Leben entgegen aller Umstände gemeistert haben.
Step in „Neue Westfälische“ (15.06.2005)
[...] eine überaus lesenswerte Dokumentation jüngster deutscher Zeitgeschichte.
Matthias Stickler in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (15.11.2005)
Die komplette Rezension lesen Sie hier.
[...] Erschütterndes berichten jene Texte, die die Frauenrechtlerin Marianne Weber nach dem Krieg gesammelt hat, und die erst jetzt aus ihrem (und ihres Mannes Max Webers) Nachlass herausgegeben wurden. „Frauen auf der Flucht“ zeigt Flucht und Vertreibung aus den Ostgebieten aus den Augen eines Dutzends adliger oder bürgerlicher, christlich geprägter Frauen, die nicht wissen, was ihnen geschieht und die sich inmitten chaotischer Gewalt immer wieder neu entscheiden müssen, wo die Rettung liegen könnte. Marianne Weber hatte dem Manuskript einen Bericht der Lemberger Professorin Karolina Lanckoronska über ihre Zeit im KZ Ravensbrück vorangestellt: „Was sie dort erlebte ... erklärt so manches, was unsere eigenen Flüchtlinge zu erdulden hatten.“ [...]
Christian Esch in „Berliner Zeitung“ (12.12.2005)
Eine aufrüttelnde zeitgeschichtliche Dokumentation.
In „Deutschlandradio, Berlin“ (05.01.2006)
[...] Die Zeitzeugnisse endlich zugänglich gemacht zu haben, ist den Herausgebern sicher als Verdienst anzurechnen. Dies nicht nur, weil sie von Not und Elend der flüchtenden Frauen Kenntnis geben, sondern auch, weil sie deutlich machen, wie die nationalsozialistische Indoktrination mit ihrer Herrenmenschmentalität bei einigen von ihnen bis in die Wortwahl fortwirkte, auch in Berichten von Frauen, die sich als Nazigegnerinnen verstanden. [...]
„Wir Männer haben oft dem Feind ins Auge gesehen, aber was ihr Frauen erduldet und geleistet habt, ist tausendmal mehr“, versichert ein ehemaliger deutscher Soldat einer der Frauen. Das trifft zweifellos zu – und nicht nur für deutsche Frauen.
Rolf Löchel in „literaturkritik.de“ (24.01.2006)
Dieser Band (herausgegeben vom Marianne Weber Institut) enthält dreizehn beeindruckende Berichte von Frauen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden - aus deutschen Ostgebieten, aus Polen und der Tschechoslowakei - in den Jahren 1944 bis 1946. Diese Dokumentation jüngster Geschichte zeigt in unveränderten Texten die Erfahrungen und Strapazen dieser Zeit. Die inzwischen 60 Jahre alten, biographischen Dokumente vermitteln ein Bild der katastrophalen Lebensbedingungen am Ende des Krieges und unmittelbar in der Nachkriegszeit und zeichnen die traumatischen Folgen auf.
Anna-Christina Lanari in „Düsseldorfer Lesefreunde“ (März 2007)