Artikel-Nr.: SV-978-3-8498-1245-4
„Schriftstellerische Arbeit“ gab Heinrich Mann Ende 1926 im Formular Personalnachrichten für das Archiv der Akademie der Künste zu seiner Berufstätigkeit an und erklärte in dem eigenhändig geschriebenen Lebenslauf, er habe seit vielen Jahren „besonders den sozialen Roman gepflegt. Ich folgte der mir im Blut liegenden Überzeugung, dass die Literatur zeitgeschichtlich bedingt und den Kämpfen der Mitwelt verpflichtet ist.“ (PrAdK Pers. DI 33, S. II, VII; vgl. die Abbildung, S. 498) Der Schriftsteller sprach ausdrücklich vom Roman, nicht von Essayistik und Publizistik. Diese war aber mitgemeint. Sie nimmt als Ergebnis derjenigen schriftstellerischen Arbeit, die im vorliegenden Band dokumentiert ist, einen beträchtlichen Umfang ein. Band 4 umfaßt mit den Jahren 1926 bis 1929 einen Zeitraum, der mitten in den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahren beginnt und mit der einsetzenden Weltwirtschaftskrise nach dem als Schwarzer Freitag erinnerten Börsencrash an der Wallstreet in den letzten Monaten der Großen Koalition − SPD, Zentrum, Bayerische Volkspartei (BVP), Deutsche Demokratische Partei (DDP), Deutsche Volkspartei (DVP) − unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller endet. Der Band enthält 211 Essays und sonstige publizistische Äußerungen Heinrich Manns (darunter vier bisher unveröffentlichte), außerdem achtzehn Interviews mit ihm und dreißig von ihm mitunterzeichnete Aufrufe und Erklärungen. Allein schon diese große Anzahl an Texten in einem Zeitraum von nur vier Jahren zeigt einen vergleichsweise rege produzierenden Autor; sie ist die höchste in einem Band dieser Ausgabe.
Daten |
Heinrich Mann Essays und Publizistik Kritische Gesamtausgabe in zehn Bänden Herausgegeben von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel Band 4: 1926 – 1929 Herausgegeben von Ariane Martin 2018 ISBN 978-3-8498-1245-4 2 Bde., zus. 1.425 Seiten Leinen (Exemplare mit leichten Mängeln! - zzgl. Versandkosten) |
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Inhalt |
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Lese-/Hörprobe |
Leseprobe: 9783849812454.pdf |
Aus der Kritik |
Die im vorangegangenen Band dieser Edition hervortretende Grundausrichtung seiner Publizistik hat Heinrich Mann während der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre konsequent fortgeführt und in ihrer Intensität noch verstärkt. Denn er sah zum einen immer deutlicher die Notwendigkeit, sich für den Erhalt der Demokratie in der Weimarer Republik zu engagieren, deren Fortexistenz durch innere Missstände und durch destruktive Aktivitäten faschistischer und sonstiger völkisch-nationalistischer Kreise ebenso gefährdet wurde wie die Freiheit der Künste. [...] [Auf der Textebene] wurde [...] das durch die Edition erstrebte Leitprinzip der Vollständigkeit ein weiteres Mal bestmöglich realisiert. Analoges gilt für dasselbe Prinzip im Bereich der kommentatorischen Erschließung. Der vorliegende Kommentarband ist der bislang umfangreichste. Jedoch ist der Kommentar nicht etwa gedehnt oder redundant, sondern durchweg konzis, der Vielfalt und Problemhaltigkeit der Texte genau angemessen. Jeder Leser, jeder wissenschaftliche Benutzer wird zu schätzen wissen, was – als Resultat aufwendiger Recherchen – alles an entstehungs, druck- und wirkungsgeschichtlichen Informationen sowie an umfassenden Sacherläuterungen auch wieder in diesem Band geboten wird. Kurz, die Einzelkommentare sind insgesamt erneut eine uneingeschränkt zu würdigende Leistung. Ebenbürtig zur Seite steht ihr die Erarbeitung eines vierteiligen Registers: der Texte, Personen (mitsamt ihrer Werke), Periodika, Verlage. [...] Abgesehen von dem nachträglich geplanten Supplementband liegen nunmehr – nach nur acht, also relativ wenigen Jahren – genau zwei Drittel der Edition vor, der bislang besten größeren Teilausgabe Heinrich Manns. [...] Heinrich Mann ist in jenen Jahren [1926-1929] der geistige Repräsentant der Weimarer Republik geworden. Der neue Band seiner Publizistik, zu danken der Sorgfalt, dem Spürsinn und dem Finderglück der Herausgeberin Ariane Martin, erfasst noch die entlegenste Äußerung, all das weit Verstreute, nie wieder Gedruckte, Verschollene, die vielen Interviews, die unveröffentlichten Beiträge. Zu sehen ist in frappierender Vollständigkeit der Tagesschriftsteller und Essayist mit seinem Mut und seiner Sensibilität, der Kämpfer, der Antibürger, der Literat, der immer wieder auch über bewunderte Autoren schrieb, über Zola, Leonhard Frank, Gorki oder Ibsen. Selbst das Beiläufige, etwa eine kleine Erinnerung an die Weihnachtsfeste seiner Kindheit oder ein charmantes Plädoyer für den Bubikopf, den modischen Haarschnitt der Frauen, steht hier ganz selbstverständlich inmitten der großen, zumeist politischen Bekundungen. Das alles, chronologisch geordnet, ist im Kommentar, der den Textband im Umfang weit übertrifft, bewundernswert erläutert. [...] Die Bände der Heinrich-Mann-Ausgabe binden die Texte nicht nur in ihren historischen und kulturellen Kontext ein, sie lassen unter der Hand eine Zeit aufsteigen, die innenpolitisch so umkämpft war wie kaum eine andere zuvor und die gerade deshalb unserer Gegenwart so nahesteht. Und sie zeigen einen kämpferischen Autor auf dem Gipfel seiner Anerkennung. [...] Die zu jedem Autortext erstellten Kommentare und Anmerkungen kann man nicht genug rühmen. Sie geben Hilfestellung zur genaueren Verortung, und sie stellen - gewissermaßen - das Rückgrat des Bandes dar. Sie ergänzen, erklären, kommentieren und werfen oft erstmals Licht auf die Fülle der Kontexte und zeithistorischen Details, die das Verständnis der Texte heute überhaupt erst ermöglichen. Sie zeugen von einem stupenden Engagement und Forscherfleiß der Herausgeberin und stellen insgesamt einen bedeutenden Beitrag zur Heinrich-Mann-Forschung dar. [...] Einen Blick auf die Position Heinrich Manns im Kulturbetrieb der späten Zwanziger Jahre gewähren schließlich die bisher nur sehr schwer zugänglichen Interviews, die der Schriftsteller in Wien, Berlin, München und Paris führte. Auch dies ein Verdienst der von Ariane Martin engagiert und mit großer Sorgfalt erarbeiteten Edition. [...] [Es] ist es richtig, die Essays [dieser Werkphase] nicht nur als Kommentar zum literarischen Werk, als Nebenwerk, sondern gleichsam als Hauptwerk dieser Jahre zu lesen. Sie sind zudem unmittelbarer Ausdruck von Heinrich Manns politischem, kultur- und gesellschaftskritischem Engagement. Der Band schafft damit erstmalig die Voraussetzung für ein umfassendes Bild dieses praktischen und publizistischen Engagements und leistet damit auch einen Beitrag zu einer neu zu schreibenden Biografie. Erreicht wird hier Vollständigkeit, die nie zuvor auch nur annähernd abgebildet wurde. Die Sammlung umfasst 211 Texte aus diesen vier Jahren und ist sehr heterogen – zuerst im Hinblick auf die Form, die Publikationsorte und Anlässe. [...] Der editorische Aufwand, [...] offensichtlich betrieben mit wissenschaftlicher Hingabe an Genauigkeit und Gründlichkeit, ist mithin erheblich und lässt nichts zu wünschen übrig. Zu wünschen bleibt indes, dass von dieser Edition weitere Impulse für die Heinrich-Mann-Forschung ausgehen. Sie kann bei vielen Fragestellungen neu ansetzen. [...] Der Band enthält 211 Essays und andere publizistische Äußerungen, darunter 4 bislang unveröffentlichte Texte, 18 Interviews und 30 von M. mitunterzeichnete Aufrufe. [...] Die Titel der großen Vorträge und Essays – Beispiele sind »Die Literatur und die deutsch-französische Verständigung«, »Rede für die Republik« (später: »Der tiefere Sinn der Republik») oder »Protest im Fall Becher«, die Stellungnahme zum Hochverratsverfahren gegen Johannes R. Becher – sprechen für sich und zeichnen ein prägnantes Bild von M.s Persönlichkeit und seinem politischen und literarischen Engagement. [...] Die Wirkung dieser subtilen wie zugleich souveränen, breitgefächerten Vorgehensweise [der Bearbeiterin Ariane Martin] ist verblüffend: Durch sie erhält auch für Kenner von M.s Publizistik das Bild dieses Autors und seiner Stellung im »öffentlichen Leben« der Weimarer Republik eine neue, deutlich prägnantere Gestalt. |
Reihe |
Essays und Publizistik Kritische Gesamtausgabe in zehn Bänden Herausgegeben von Wolfgang Klein, Anne Flierl und Volker Riedel |