Aus der Kritik |
[...] Beachtung verdient [der Band], [...] weil er die erste vollständige Schwarzenbach Bibliographie enthält und weil Andreas Tobler auf einem 70 Seiten umfassenden Sonderteil die Briefe Annemarie Schwarzenbachs an Carl Jacob Burckhardt und an Margret Boveri ediert und kommentiert hat. Da finden sich nun wirklich bemerkenswerte neue Aussagen, die manches in ein neues Licht stellen.
Charles Linsmayer in „Der kleine Bund“ (26.11.2005)
[...] die von [...] Sabine Rohl und Walter Fähnders herausgegebenen Aufsätze [rücken] Schwarzenbachs Texte in dem Mittelpunkt und beziehen sie auf die Literaturgeschichte, auf Geschlechter- und Reiseforschung. Ihr Buch bietet dazu neues Material: drei unveröffentlichte Erzählungen, die Korrespondenz mit Carl Jacob Burckhardt und Margret Boveri sowie eine Bibliographie.
In „Berliner Zeitung“ (05.12.05)
[…] Die Dichte und Vielfalt der Beiträge […] bewegen dazu, Annemarie Schwarzenbachs Texte weiter und wieder zu lesen. Darüber hinaus bietet der Band mit seiner ausführlichen Schwarzenbach-Bibliographie eine ausgezeichnete Grundlage zum Weiterforschen, zum Beispiel über die Fotografin Annemarie Schwarzenbach. Und schließlich dürfen wir die Schriftstellerin auch neu entdecken in ihrem steten „Versuch, Möglichkeiten des Schreibens auszuloten, das sich ausschließlicher Rationalität verweigert“ (S. 51). […]
Jolanda Bucher in „Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten“ (7/2005)
Die Herausgeber wollen mit diesem Band aber nicht nur neue Analysen und Interpretationen von Texten bieten, sondern darüber hinaus auch solide Grundlagen für eine weitere literaturwissenschaftliche Beschäftigung schaffen, denn bei aller Wertschätzung und Aufmerksamkeit für Annemarie Schwarzenbach ist die Quellenlage bisher prekär geblieben: wichtige Nachlasstexte sind noch nicht ediert und die vorliegenden Editionen nicht alle zuverlässig. So wird neben dem Erstdruck dreier Texte, Beispiele ihres frühen wie späten Schreibens, eine erste, mit über 400 EinträgenVollständigkeit beanspruchende Bibliographie ihrer Schriften geboten. […] Eine Bibliografie der Sekundärliteratur beschließt einen Band, der mit einer gelungenen Mischung von Textgrundlagen und -analysen, einleuchtende Einschätzungen und vielfältige Anregungen gibt und die Basis für die weitere Forschung entscheidend gefestigt und erweitert hat.
Carsten Würmann in „Zeitschrift für Germanistik XVI“ (3/2006)
Annemarie Schwarzenbach neu gelesen
Abstract
Der von Walter Fähnders und Sabine Rohlf herausgegebene Band ist ein anregender und für die zukünftige Forschung richtungsweisender Beitrag zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Werk Annemarie Schwarzenbachs. Die einzelnen Beiträge eröffnen Perspektiven aus literaturgeschichtlicher, kulturwissenschaftlicher und gendertheoretischer Sicht, die weit über die bisher dominante biographische Lesart der Texte Schwarzenbachs hinausgehen. Der Band umfasst darüber hinaus die erstmalige Edition einer Reihe von Erzählungen, Briefen und Fotografien sowie eine umfangreiche Bibliographie des Werks und der Forschung zu Annemarie Schwarzenbach.
Neue Perspektiven auf eine wiederentdeckte Autorin
Das Werk der Schweizer Schriftstellerin, Reisereporterin und Fotografin Annemarie Schwarzenbach (1908-1942) ist seit Ende der 1980er Jahren zunehmend Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden, ihre literarischen Texte wurden neu aufgelegt bzw. erstmals publiziert und ihr Nachlass teilweise ediert. Mit dem von ihnen herausgegebenen Band haben sich Walter Fähnders und Sabine Rohlf zum Ziel gesetzt, diesen Prozess der Wiederentdeckung der zur "Ikone unangepasster Weiblichkeit" (S. 13) gewordenen Autorin weiter voranzutreiben, ihm aber gleichzeitig eine neue Richtung zu geben: War die Forschung zu Annemarie Schwarzenbach bisher v. a. biographisch orientiert, sei es nun an der Zeit, ihr Werk in literaturhistorische, kulturwissenschaftliche und gendertheoretische Zusammenhänge einzuordnen.
Diesem Anliegen wird in den zehn Einzelbeiträgen des Bandes in unterschiedlicher Weise Rechnung getragen. Dabei greifen die jeweiligen Autorinnen und Autoren auf eine große Bandbreite von Material zurück: Nicht nur die Romane und Erzählungen Schwarzenbachs, auch ihre Reiseberichte, feuilletonistischen und literaturwissenschaftlichen Texte, ihre (z. T. noch unveröffentlichten) Briefe und Fotografien werden zum Gegenstand der Analysen.
Der Band ist sich gleichzeitig als Beitrag zur Verbesserung der noch immer mangelhaften editorischen Aufarbeitung des Werks von Schwarzenbach konzipiert. Im Anhang werden erstmalig die drei Texte "Paris III", "Yelinda" und "Das Namenlose" abgedruckt, außerdem finden sich hier die erste Publikation der Briefe Schwarzenbachs an ihren akademischen Lehrer Carl Jacob Burckhardt und ihre Korrespondenz mit der Journalistin Margret Boveri (beide editiert, kommentiert und mit einer Einleitung versehen von Andreas Tobler). Darüber hinaus wurden eine Reihe von bisher z. T. unveröffentlichten Abbildungen und Fotografien aufgenommen. Einen wichtigen Fortschritt in der Beschäftigung mit dem Werk Schwarzenbachs markieren zudem die über 400 Einträge umfassende Bibliographie der Schriften Annemarie Schwarzenbachs sowie die Bibliographie der bisherigen Forschung am Ende des Bandes.
Kulturhistorisch orientierte Erklärungsansätze für den Mutter-Tochter-Konflikt
Alexis Schwarzenbach nimmt in seinem Aufsatz das vieldiskutierte Verhältnis zwischen Annemarie Schwarzenbach und ihrer Mutter Renée Schwarzenbach-Wille in den Blick. Im Rückgriff auf neues Quellenmaterial kritisiert er u. a. sowohl die in der Forschung dominanten "politisch-klassenspezifischen Erklärungsversuche[]" (S. 37) für den Mutter-Tochter-Konflikt als auch solche Erklärungsmuster, die die Gründe für die Auseinandersetzungen in der Ablehnung von Annemaries Homosexualität durch ihre Familie sehen. Vielmehr spielten die "unterschiedlichen Selbsteinschätzungen in Sachen Homosexualität" (S. 42) von Mutter und Tochter – geprägt durch die in ihrer Jugend jeweils spezifischen Konzepte von Homosexualität – eine entscheidende Rolle. Der Autor nimmt Bezug auf die sich wandelnden gesellschaftlichen Wahrnehmungen weiblicher Sexualität, verweist aber letztlich auf ein psychologisches Erklärungsmuster, wenn er "den unvollendet gebliebene[n] Abnabelungsprozess" (S. 43) für die Konflikte zwischen Mutter und Tochter verantwortlich macht.
Queere Lektüren und literarhistorische Einbettung
Innovative Perspektiven auf die literarischen Texte eröffnet Gesa Mayers Interpretation von Schwarzenbachs erstem Roman Freunde um Bernhard (1931). In Rekurs auf Judith Butler arbeitet sie Motive des Textes heraus, die auf zentrale Aspekte der heutigen Queer Theory verweisen: Nicht nur seien im Roman deutliche Zweifel am Konzept eines autonomen und kohärenten Subjekts auszumachen, vielmehr lasse sich der Text auch als Kritik an der binären (heterosexuellen) Geschlechterordnung lesen – so z. B. in der Darstellung lesbischen Begehrens und in der Figurengestaltung des Romans, in der häufig nicht nur eine eindeutige Zuweisung des Geschlechts ausbleibe, sondern auch die Kohärenz von Sex und Gender wiederholt in Frage gestellt werde. Sie unterzieht den Roman einer überzeugenden "queeren" Lektüre, ohne Annemarie Schwarzenbach damit als "queere Autorin" (S. 77) vereinnahmen zu wollen.
Auch Sabine Rohlf verweist auf die Besonderheiten der dargestellten nicht-heterosexuellen Begehrensmuster in Schwarzenbachs Texten. Konfrontiert mit einem Homosexualitätskonzept, in dem weibliche wie männliche Homosexualität als "Identitätskategorie" entworfen und "je nach Standpunkt als naturgegeben oder krankhaft essentialisiert" (S. 96) wurde, ließen sich die Figuren in Schwarzenbachs literarischen Texten gerade nicht auf eine "lesbische Identität" festschreiben. In der Darstellung von Homosexualität greife der Roman Flucht nach oben (1999 ersch.) darüber hinaus auf die Strategie der Codierung zurück. In ihrer Analyse verschiebt Rohlf den Roman überzeugend "von einem biographischen in einen literaturhistorischen Lektürehorizont" (S. 80). Den besonderen Status von Flucht nach oben führt sie auf die Heterogenität der intertextuellen Bezüge zurück, bei denen u. a. Motive aus dem Genre des Heimat- und Hotelromans auf "Bildwelten neusachlicher Modernität" (S. 84) träfen.
An einer literaturgeschichtlichen Einbettung der Dichterauffassung Schwarzenbachs ist es Walter Fähnders gelegen. Er untersucht verschiedene Texte im Hinblick auf ihre Positionierung innerhalb heterogener Diskurse über Sprachkrise und Sprachkritik der Jahrhundertwende. Schwarzenbach verschreibe sich weder dem zeitgenössischen Sachlichkeits-Diskurs noch der "Seherpose" (S. 50) ihres Vorbilds Stefan George, sondern folge einem bis zu ihren ersten Schreibversuchen zurück verfolgbaren Schreibverständnis, in dem das Unbewusste und Intuitive einen zentralen Stellenwert habe, das aber keineswegs in "antimodernen Irrationalismus" (S. 52) münde.
Fremdheitserfahrung als Selbstreflexion in den Reiseberichten Schwarzenbachs
Auch Silvia Henkes Beitrag ist ein Versuch, das Werk Schwarzenbachs aus "der biographischen Klammer" (S. 19) zu lösen – sie nimmt stattdessen eine auf ästhetische Aspekte konzentrierte Perspektive ein. Die Instabilität des insbesondere in den Reiseberichten Schwarzenbachs entworfenen Erzählsubjekts will Henke nicht auf die psychische Verfassung der Autorin zurückgeführt wissen, sondern schlägt vor, Schwarzenbachs Schreibweise als spezifische Form im Umgang mit Fremdheitserfahrung zu verstehen. In Henkes Deutung verweigern sich die Reisetexte der Tradition der europäischen Reiseliteratur, indem sie die Fremde gerade nicht mit Sinn aufladen – und das Erzählsubjekt in einen Zustand der Entfremdung gerät, der als Alteritätserfahrung gedeutet werden könne.
Die Reiseberichte stehen auch in den Beiträgen von Tina D'Agostini und Kerstin Schlieker im Vordergrund. D'Agostini analysiert das Schattenmotiv in Schwarzenbachs Texten als Metapher für eine Erkenntniskrise bzw. einen Utopieverlust und arbeitet aufschlussreiche intertextuelle Bezüge zu Adelbert von Chamissos Peter Schlehmils wundersame Geschichte (1913) heraus. Vor dem Hintergrund der anthropologischen Frauenreiseforschung argumentiert Schlieker, dass die ersten Asienreisen Schwarzenbachs weniger als durch ein ethnographisches Interesse motivierte Konfrontationen mit dem Fremden zu verstehen seien, sondern dass "das Reisen und Schreiben" für Schwarzenbach vielmehr als "existenzielle Kategorie der Selbsterfahrung" (S. 183) fungiere. Insbesondere ihre spezifische Erzählhaltung, ihr Schreibstil und die Art der Realitätserfassung zeigten "einen über die damalige Zeit hinausweisenden Umgang mit kultureller Fremdheit" (S. 185). In diese Richtung argumentiert auch Gonçalo Vilas-Boas in seiner Untersuchung der Reisefeuilletons, die in den Jahren 1941-42 entstanden sind.
Den für die Reiseberichte Schwarzenbachs charakteristischen Schreibstil der "unmittelbare[n] Anschauung" (S. 109) macht Helga Karrenbock auch in der Textsammlung Falkenkäfig aus, die sie als poetologische Selbstreflexion Annemarie Schwarzenbachs liest. Die Frage, warum Falkenkäfig zu Lebzeiten Schwarzenbachs keinen Verlag finden konnte, beantwortet Karrenbock mit einem Verweis auf die neuere Exilforschung: Zwar bedienten sich die Texte keiner "manifesten linken antifaschistischen Rhetorik" (S. 111), doch liege ihre implizite politische Dimension in der "nomadischen" (S. 112) Position der Erzählerin, die als Beispiel für "narrative Inszenierungen von Heimatlosigkeit und Exil" gewertet werden könnte. (S. 111, Helga Karrenbrock zitiert hier nach Sabine Rohlf: Exil als Praxis – Heimatlosigkeit als Perspektive? Lektüre ausgewählter Exilromane von Frauen. München: text + kritik, 2002, S. 13)
Das Schlusslicht der Beiträge bildet Fosco Dubinis Reflexion der Transformation Schwarzenbachs von einer Ikone hin zu einer Kunstfigur anhand seines Berichtes über die Entstehung des von ihm produzierten Films über Annemarie Schwarzenbachs Reise nach Afghanistan im Jahre 1938/39, die sie zusammen mit Ella Maillart unternommen hat.
Fazit
Der vorliegende Band bereichert die Schwarzenbach-Forschung nicht nur durch eine Fülle von bisher unveröffentlichtem Material, sondern wirft auch ein neues Licht auf zentrale Motive wie das der Homosexualität und der Heimatlosigkeit. Bleibt zu wünschen, dass die innovativen Impulse der dokumentierten Beiträge in der zukünftigen literaturwissenschaftlichen und editorischen Erschließung des Werks von Annemarie Schwarzenbach noch weiter ausgebaut werden.
Nina Gülcher in „querelles-net.de“ (20/2006)
Als (Reise-)Schriftstellerin und Journalistin hat Annemarie Schwarzenbach (1908-42) ihr Leben schreibend zuwege gebracht. „Wirklich, ich lebe nur wenn ich schreibe.“ Dieses Motto der Schweizer Autorin übernehmen Rohlf und Fähnders für ihren Sammelband, dessen Analysen weniger von der Biographie, als vielmehr vom Wort Schwarzenbachs ausgehen. Anhand einzelner Werke, Textsorten oder Motive werden intertextuelle Verbindungen, literarische Vorbilder und historische Kontexte reflektiert. Diese Mehrstimmigkeit entspricht Schwarzenbachs Vielschichtigkeit, und mit dem Erstdruck von Erzählungen und Briefen erklingt auch die Stimme der Autorin selbst. Treffend meint Fosco Dubini, dass „das Fragment vielleicht doch die Form ist, die Annemarie Schwarzenbach am besten entsprechen würde“. Ihr Leben und Schreiben gegen die Idee normativer (geschlechtlicher) Identität macht sie gerade für die gender- und queertheoretische Rezeption interessant. Die Romanfiguren in Freunde um Bernhard (1931) sind in Gesa Mayers alternativer Lesart „ein ziemlich queerer Beitrag zur Destabilisierung der Heterosexualität privilegierenden Zweigeschlechtlichkeit“. So eröffnen die Beiträge Politisches auch im Poetischen und lassen uns Schwarzenbachs Texte in ihrem stetem „Versuch, Möglichkeiten des Schreibens auszuloten“ neu entdecken.
Jolanda Bucher in „WeiberDiwan“ (Frühjahr 2006)
[...] Ein Meilenstein war der von Walter Fähnders und Sabine Rohlf herausgegebene Band Annemarie Schwarzenbach. Analysen und Erstdrucke (Aisthesis Verlag, 2005), der ihr Œuvre in einem literatur- und kulturhistorischen Kontext verortet. Dabei zeigt sich, dass Annemarie Schwarzenbachs Modernität nicht nur in ihrer äusseren Erscheinung und ihrem libertären Lebenswandel gründet, sondern auch in einem Schreiben, das in seiner ebenso leidenschaftlichen wie selbstzerstörerischen Kompromisslosigkeit mit tradierten Formen bricht und die zeitgenössischen Literaturvorstellungen bewusst unterläuft – einem Schreiben, das, so Fähnders, »auf radikale Weise jene Krisenerfahrungen und Identitätsstörungen reflektiert, die für die Moderne insgesamt und für die Dreissiger- und Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts ganz besonders kennzeichnend sind.« [...]
Bettina Augustin in „Der Bund“ (17.05.08)
Der vollständige Artikel: http://www.espace.ch/artikel_521158.html
[...] Einen wichtigen Schritt in Richtung einer intensiveren, weil textorientierten Beschäftigung mit dem Werk der Dichterin stellt ein bereits 2005 von Walter Fähnders und Sabine Rohlf herausgegebener Sammelband dar, der neben Analysen und Erstdrucken auch die erste Bibliografie zu den Schriften von beziehungsweise über Annemarie Schwarzenbach enthält. Den ersten Teil bilden dabei die Beiträge, die zum einen die schwierige Mutter-Tochter-Beziehung und die literarischen Anfänge der jungen Frau diskutieren, zum anderen Texte wie „Freunde um Bernhard“, „Flucht nach oben“ und „Der Falkenkäfig“ analysieren und ferner Reisetexte über Asien, Afrika und Portugal näher beleuchten. [...]
Bahrang Samsami in „literaturkritik.de“ (Oktober 2008)
Vollständig unter: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=12400
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