„Deutscher sein, hieß auch Indianer sein. Diese Indianerromantik war antiplutokratische Propaganda, gegen die amerikanische Demokratie. Ja, die Nazis haben das genial benutzt; das antizivilisatorische Moment, die Sehnsucht nach Wildheit in diesen Geschichten.“ Soweit der Dramatiker Heiner Müller. Doch nicht nur das NS-Regime nutzte den antizivilisatorischen, antisemitischen Impetus im Werk heute fast vergessener Autoren wie Friedrich von Gagern oder Fritz Steuben.
Die Studie weist nach, welch lange Schatten scheinbar harmlose Wildwestgeschichten der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts auf die Literatur, den Film und das Schauspiel der DDR warfen. Heiner Müller am Marterpfahl ist ein bewusst vieldeutig zu interpretierender Titel. Keinesfalls geht es um eine posthume Skalporgie auf Irokesenart. Vielmehr wird gezeigt, wie die Lektüre Authentizität versprechender Jugendbücher auf die Beschäftigung mit Carl Schmitt oder Ernst Jünger vorbereitete. Faktenreich wird gezeigt, wie stark Hochkultur von trivialen Textsorten beeinflusst wird, ja, ohne sie kaum denkbar wäre.
Thomas Kramer
Heiner Müller am Marterpfahl
AISTHESIS Essay Bd. 24
2006
ISBN 978-3-89528-548-6
135 Seiten, 10 Abb.
kartoniert
Thomas Kramer, Dr. phil., habilitierte sich 2002 an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Untersuchung zu Phänomenen medialer Interaktion (Musiktheater, Comics, TV, Spannungsliteratur etc.). Er ist Spezialist für populäre Medien in Deutschland bis 1945, der DDR und Osteuropa.
[...] Dem Leser werden Einblicke in ganz neue Zusammenhänge geboten. Die durchweg vergnügliche Lektüre steigert sich immer mal wieder zu amüsanten Höhepunkten [...] Insgesamt wird vor dem Leser eine Fülle erstaunlicher Fakten ausgebreitet.
Christian Heermann in „Sächsische Zeitung“ (09.03.2006)
[...] Thomas Kramer betrachtet Müllers Werk „unter dem Aspekt seiner Verankerung im Trivialen“ – und er befördert Erstaunliches zutage. Er findet überraschende Parallelen zwischen den Denk- und Schreibwelten von Müller und Konsalik, entdeckt den Einfluss von Don Camillo und Peppone auf das frühe Stück Die Umsiedlerin, sieht Gemeinsamkeiten der beiden „sächsischen Geister“ Karl May und Heiner Müller. Vieles davon liegt erfrischend quer zu den gängigen Deutungen, einiges ist gewagt behauptet, manches mehr vermutet als belegt. Wie aber die „rote Sache“ das Reich der Indianer mit dem Kommunismus verbindet und Müller Gagerns (letztes Jahr von Frank Castorf an der Volksbühne uraufgeführte) Novelle Der Marterpfahl zum Lehrstück wurde, versteht Kramer mit seinem flott geschriebenen Buch eindrücklich nachzuweisen. Das gibt zu denken und ist lesenswert. Nicht nur für Müller-Kenner.
Dirk Pilz in „Zitty“ (Heft 7/2006)
[...] ein großer Essay von Thomas Kramer, der ertragreich einen „Streifzug durch die frühen Lesewelten des Heiner Müller“ unternimmt, jenes DDR-Autors (1929-1995), dessen sperrige Dramen nicht gerade zwangsläufig an Karl May denken lassen. Auch ein solcher Schriftsteller kommt aber mit Texten aus der populären Kultur in Berührung und reagiert auf sie; im Falle Müllers handelt es sich da, wie Kramer zeigt, neben bundesrepublikanischen Bestsellern wie den Stalingrad-Büchern von Heinz G. Konsalik vor allem um Indianer- und Abenteuerromane von Friedrich von Gagern, Fritz Steuben und eben Karl May. [...]
Helmut Schmiedt in „Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2006“
[...] Ob man sich nun vor allem für Müller, die auffällige Liebe der Deutschen zu den Indianern oder für die Popularkultur der DDR interessiert: „Heiner Müller am Marterpfahl“ ist trotz seines schmalen Umfangs ein vielschichtiges und lesenswertes Buch, faktenreich und durchweg unterhaltsam geschrieben. [...]
Tobias Klein in „Zeitschrift für Germanistik“ (1/2007)
AISTHESIS Essay