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Seit den 1960er Jahren stehen der hartnäckigen Fortschreibung kolonialer Afrika-Stereotype in den Medien und der Unterhaltungsliteratur literarische wie literatur- und kulturwissenschaftliche Versuche einer neuen Annäherung an Afrika gegenüber. Vor allem die im kollektiven Gedächtnis verdrängte Geschichte des deutschen Kolonialismus und Rassismus, die Diskursgeschichte deutscher Afrikabilder, die Erfahrungen afrikanischer MigrantInnen in Deutschland und die Geschichte Schwarzer Deutscher sind Gegenstände einer solchen Revision des interkulturellen Bewußtseins geworden. In literaturwissenschaftlicher Akzentuierung schließt der vorliegende Band an diese Entwicklungen an, indem er mit Blick auf die gegenseitige Wahrnehmung Afrikas und des deutschsprachigen Raumes interkulturelle Texturen in der deutschen Literatur seit der Goethezeit sowie in der »interkulturellen Literatur« deutsch schreibender Afrikaner untersucht. Das Konzept der »interkulturellen Texturen« intendiert die postkoloniale, diskursgeschichtliche und diskurskritische Neuvermessung deutscher Afrikabilder und afrikanischer Deutschlandbilder im Reflexionsmedium der Literatur. Mit einem thematisch und methodologisch weiter gespannten Dialog afrikanischer und deutscher LiteraturwissenschaftlerInnen über transkulturelle Lektüren deutschsprachiger und afrikanischer Literatur zielt der Band darüber hinaus auf eine im vollen Wortsinne interkulturelle Literaturwissenschaft.
M. Moustapha Diallo / Dirk Göttsche (Hgg.)
Interkulturelle Texturen
Afrika und Deutschland im Reflexionsmedium der Literatur
2003
363 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-384-3
M. Moustapha Diallo hat nach seinem Studium in Dakar in Münster und Paris mit einer Dissertation über „Exotisme et conscience culturelle dans l’oeuvre d’Ingeborg Bachmann“ 1996 promoviert und arbeitet derzeit an einem Habilitationsprojekt zum Thema „Vermittlung von Eigenem und Fremdem im schulischen und akademischen Deutschunterricht in Senegal“.
Dirk Göttsche hat sich mit einer Studie über „Zeit im Roman. Literarische Zeitreflexion und die Geschichte des Zeitromans im späten 18. und im 19. Jahrhundert“ 1999 in Münster habilitiert und arbeitet als ‚Professor of German‘ an der Universität Nottingham; Veröffentlichungen zur literarischen Sprachreflexion, zur modernen Kurzprosa, zu Raabe, Hofmannsthal, Kaschnitz u.a.; Editionen und zahlreiche Publikationen zum Werk Ingeborg Bachmanns.
Mit diesem kulturwissenschaftlich-politischen Aufsatzband ist ein deutsch-afrikanisches Gemeinschaftsunternehmen anzuzeigen: Die Beiträger kommen aus Senegal, Kamerun, Großbritannien und Deutschland. Ein Projekt, das von der englischen Universität Nottingham finanziell ermöglicht wurde, aber im überwiegenden Teil die deutsche Germanistik betrifft.
Zehn Abhandlungen werden vorgelegt: zur afrikanischen Literatur in deutscher Sprache – die es in beachtlicher Zahl gibt! –, ferner zu Afrikabildern in der deutschen Literatur – bei Claire Goll beginnend, die 50er Jahre wie die aktuelle Szene schildernd –, und schließlich zu interkulturellen Lektüren – Goethe oder Romane des 19. Jahrhunderts, wahrgenommen aus der postkolonialen Gegenwart Afrikas.
Dies ist ein materialreicher Band, der am Paradigma „Afrika“ zeigt, wie der Slogan einer interkulturellen Literaturwissenschaft so in Kommentar und Interpretation umgesetzt werden kann, dass damit auch einer politisch wirksamen Bewusstseinsschärfung gedient ist. Denn der Nachholbedarf sprachlich-kultureller Verständigung der Europäer mit dem von Kriegen und Armut heimgesuchten Kontinent ist ja immens.
Die klugen und informativen Aufsätze leisten insgesamt einen energischen Beitrag zur Methodenreflexion einer germanistischen Kulturwissenschaft.
Christoph Laudien in „DAAD Letter Literatur 2003“
Die 10 Beiträge dieses bemerkenswerten Bandes bearbeiten zwei Desiderata. Das erste ist ein ‚stoffliches‘: Die Untersuchung der wechselseitigen Darstellungen Afrikas und Deutschlands in der deutschsprachigen Literatur seit Beginn des 20. Jh. Stützt sich neben bekannten auf eine ganze Reihe interessanter weniger bekannter Texte. Aufschlußreich sind ferner die Lektüren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur afrikanischer Migranten vor der Folie der frankophonen Literatur afrikanischer Migranten [...] und der deutsch-türkischen Literatur [...]. Das zweite Desiderat ist ein ‚methodisches‘: Die Hrsg. knüpfen programmatisch an „deutsche und afrikanische Ansätze zu einer interkulturellen Literaturwissenschaft an, die unabhängig von den Postcolonial Studiers entwickelt worden sind.“ [...] Diese beiden Beiträge [von M. Albrecht und D. Göttsche] schließen substantielle Forschungslücken.
Herbert Uerlings in „Germanistik“ (2003, Heft 3-4)