Traumatische Erfahrungen in der Kriegszeit und die Enttäuschung über das anschließende Fortbestehen totalitärer Strukturen in Gesellschaft und Individuen lenkten die Aufmerksamkeit der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann auf die grundsätzliche Frage nach den Ursachen und Formen der (verdeckten oder offenen) Vernichtung von Menschen durch Menschen. Bachmann erkennt diese Ursachen nicht in äußerlichen gesellschaftlichen Umständen oder in endogenen Defekten der menschlichen Psyche, sondern vor allem in einem vermeidbaren unfreien Denken, das zum Verbrechen (Mord, Tötung) oder zum Sterben (Selbstmord, Selbstaufgabe) führt. Aufgabe der Literatur ist es nach Bachmann, dieses Denken zu enthüllen und zugleich im Leser ein anderes, pazifiertes Denken zu erzeugen, aus dem »eine neue sittliche Möglichkeit« (Frankfurter Poetik-Vorlesungen) erwachsen kann. Ihre Prosawerke werden dieser Aufgabe durch ein spezielles Kompositionsverfahren gerecht, das den Leser zu entsprechenden Denkbewegungen veranlaßt; dessen genauere Analyse zudem eine zuverlässige literarhistorische Verortung der Prosaschriften Bachmanns ermöglicht.
Jost Schneider
Die Kompositionsmethode Ingeborg Bachmanns
Erzählstil und Engagement in 'Das dreißigste Jahr', 'Malina' und 'Simultan'
1998
512 Seiten
kartoniert
ISBN 3-89528-204-9
Jost Schneider, geb. 1962, studierte Germanistik und Philosophie an den Universitäten Düsseldorf, Essen und Bochum. 1989 Promotion, 1996 Habilitation mit der vorliegenden Arbeit. Seit 1987 Lehrtätigkeit am Germanistischen Seminar der Ruhr-Universität Bochum. Publikationen über Herder, Hofmannsthal, Bachmann und andere Autoren des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Im Aisthesis Verlag ist erschienen: »Herder im 'Dritten Reich'« (1994); »Einführung in die moderne Literaturwissenschaft« (2000, 3. durchgesehene Auflage 2000).