Bereits während seiner Entstehung wird die Geschlossenheit von Johann Wolfgang Goethes Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« (1795/1796) kritisch diskutiert. Bis heute stehen Deutungen, die auf den Zusammenhalt des Romans abzielen, Ansätzen gegenüber, die dessen Brüche betonen. Auf diese Weise wird ihm jene Offenheit erhalten, die die Frage nach einer den Text schließenden Struktur überhaupt erst provoziert. Vor dem Hintergrund wichtiger kulturgeschichtlicher Entwicklungen des 18. Jahrhunderts geht die vorliegende Studie diesem intrikaten Verhältnis von Geschlossenheit und Offenheit, Kohärenz und Inkohärenz in Goethes Roman nach. Beschrieben werden ihre dialektischen Verschränkungen und deren Auswirkungen auf die Sinnproduktion des Textes. Gerade aus dem Wechselspiel von Kohärenz und Inkohärenz bezieht der Roman seine Modernität.
Hauke Kuhlmann
›Es fehlte mir der Zusammenhang, und darauf kommt doch eigentlich alles an.‹
Zum Problem der Kohärenz in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre
Philologie und Kulturgeschichte Bd. 10
2019
ISBN 978-3-8498-1501-1
303 Seiten
kartoniert
Hauke Kuhlmann studierte Germanistik und Philosophie und wurde an der Universität Bremen promoviert. Dort ist er zurzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig.
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[...] Kuhlmanns genaue Lektüre des Textes hat das Aufspüren zahlloser Brüche und Ambivalenzen zur Folge – sowohl in der Entwicklung der Figuren im Hinblick auf deren »Mehrdeutigkeit und Polyfunktionalität« (S. 225) als auch in übergreifenden strukturellen Zusammenhängen. Dabei kann der Autor auch Befunde aus einer Texttheorie, wie sie vor allem von Gérard Genette entwickelt worden ist, erkenntnisfördernd nutzen. Auf den Reichtum und die Sinnfälligkeit seiner Erkenntnisse kann hier nur hingewiesen werden. Als ein markantes Beispiel sei das Kapitel über das sechste Buch genannt, die Bekenntnisse einer schönen Seele. [...] Alles in allem hat der Autor die skeptische Eingangsfrage, ob dem Roman noch neue Erkenntnisse abzugewinnen seien, durch seine grundsolide, den Romantext nach vielen Richtungen hin auslotende Untersuchung überzeugend beantwortet.
Jochen Golz in „Goethe-Jahrbuch (2021)“
Philologie und Kulturgeschichte Bd. 10