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Annette von Droste-Hülshoffs Judenbuche, ein Meisterwerk deutscher Erzählkunst, ist fester Bestandteil des schulischen Literaturkanons. Die bisherige Rezeption der Erzählung jedoch bietet den merkwürdigen Fall eines kollektiven Fehlurteils. Norbert Mecklenburg plädiert für dessen Revision, um dem Werk eine ganz neue Chance zu eröffnen. Seine Alternativlektüre beruht auf genauer Analyse, die bisher Unbeachtetes am Text aufdeckt. Er zeigt in scharfsinniger Argumentation, wie die herkömmlichen Lektüren alle in die gleiche, im Text selbst versteckte Falle tappen. Im Gegenzug zu metaphysisch-phantastischen Deutungskonstrukten arbeitet er eine psychologisch-sozial-ethische Sinnebene heraus: Sie ist es, die Drostes Erzählung aus alter Zeit gegenwärtig hält. Abschließend macht Mecklenburg Literaturlehrern Mut zu testen, ob nicht manche Schüler bessere Leser der Judenbuche sein könnten als die wissenschaftlichen.
Norbert Mecklenburg
Der Fall Judenbuche
Revision eines Fehlurteils
2008
ISBN 978-3-89528-693-3
128 Seiten
kartoniert
Norbert Mecklenburg, geb. 1943, ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität zu Köln. Zu seinen Büchern gehören: Kritisches Interpretieren (1972), Naturlyrik und Gesellschaft (1977), Erzählte Provinz (1982), Die grünen Inseln (1987), Die Erzählkunst Uwe Johnsons (1997), Theodor Fontane (1998), Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft (2008).
[...] Mit Seitenhieben auf die Verfehlungen seiner Kollegen gegen die Anforderungen wissenschaftlicher Auslegungskunst zerreißt Mecklenburg in Mikroanalysen die Indizienkette, die Mergels Schuld angeblich unabweisbar machte. Dabei ergibt sich eine Charaktertiefe des vermeintlichen Mörders, die der Größe, die der Erzählung zugemessen wird, viel mehr entspricht. [...]
Manfred Strecker in „Neue Westfälische“ (12./13.07.2008)
Annette von Droste-Hülshoffs „Judenbuche“, ein Meisterwerk deutscher Erzählkunst, ist fester Bestandteil des schulischen Literaturkanons. Die bisherige Rezeption der Erzählung jedoch bietet den merkwürdigen Fall eines kollektiven Fehlurteils. Norbert Mecklenburg plädiert für dessen Revision, um dem Werk eine neue Chance zu eröffnen. Seine Alternativlektüre beruht auf genauer Analyse, die bisher Unbeachtetes am Text aufdeckt. Er zeigt in scharfsinniger Argumentation, wie die herkömmlichen Lektüren alle in die gleiche, im Text selbst versteckte Falle tappen. [...]
Redaktioneller Hinweis in „literaturkritik.de“ (08 / 2008)
[...] Eine kleine Sensation ist Norbert Mecklenburgs „Der Fall Judenbuche“. Der Autor, der auch antisemitische Elemente des vieldeutigen Meisterwerks nicht verschweigt, behauptet, „Die Judenbuche“ sei bisher fast immer falsch gedeutet worden. Er bietet eine „Gegen-Lektüre“ an, nach der Friedrich Mergel nicht der Mörder Aarons ist. Seine Befürchtung, die Droste-Forschung werde seine These „totschweigen“, wird hoffentlich nicht wahr werden. Ein heftiger Gelehrtenstreit, ausgetragen mit Argumenten und Gegenargumenten, wäre hier wünschenswert wie ein reinigendes Gewitter.
Jürgen P. Wallmann in „Westfälische Nachrichten“ (06/09/2008)
[...] Mecklenburg stellt der Droste-Forschung ein vernichtendes Zeugnis aus: »In diesem Fall sticht besonders krass ein dreifacher Mangel hervor: an ästhetischer Lesefähigkeit, literaturhermeneutischem Methodenbewusstsein und intellektueller Redlichkeit« (S. 8). Eine harsche Kritik, die Mecklenburg im Verlaufe des Textes immer von Neuem wiederholt und die dabei an Verve sogar noch zunimmt. [...]
Besonders interessant und gelungen ist das siebte Kapitel, in dem sich Mecklenburg mit dem wiederholten Selbstmordmotiv auseinandersetzt. Als erstes negiert er alle mystischen Interpretationen: Friedrich habe sich erhängt oder sei erhängt worden, »Tertium non datur« (S. 64). Anschließend plädiert er für ersteres. Es bedürfe keiner metaphysischen Deutung, keiner Nemesis und auch keines Killers, stattdessen hätten einige bodennahe Äste es dem verkrüppelten Friedrich Mergel ermöglicht, sich selbst im Baum zu erhängen. [...]
Mit großem Engagement und scharfem Ton widmet sich Norbert Mecklenburg der Revision eines Fehlurteils. Mit seiner Lektüre zeigt Mecklenburg, dass die Frage, wer wen erschlug, tatsächlich nicht so einfach zu klären ist. Die Leerstellen, die den Text durchziehen und ihn damit auch auszeichnen, können unterschiedlich gefüllt werden. Mecklenburgs Argumentation ist in sich schlüssig, allerdings könnte man die Frage stellen, woher er sich so sicher sein kann, dass es tatsächlich Friedrich ist, der sich zum Schluss suizidiert. Zwar erkennt ihn der Gutsherr an einer Narbe, doch war von dieser Narbe nie vorher die Rede. Soll man den Vorurteilen der Dorfbewohner und der Figurenrede – wie Mecklenburg richtig feststellt – also nicht immer trauen, wie ist dann zu klären, ob der Gutsherr in seinem letzten Satz tatsächlich die Wahrheit spricht?
Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass auch die Interpretation Mecklenburgs nicht alle Leerstellen füllen kann und andere etwas prekär, weil über den Text hinausgehend, füllt. Insgesamt aber ist Mecklenburgs Band ein zweifellos innovativer und Diskussionsstoff liefernder Beitrag zur Droste-Forschung. Für den Rezensenten wurde das Lesevergnügen allerdings durch den rauen Ton ein wenig geschmälert.
Thomas Wortmann in „IASLonline“ (31.05.09)
Die vollständige Rezension: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=3077
[...] Die Vertreter der Mörder-These müssen daher schon mehr liefern, als sie es bisher getan haben. Das ist das eine gute Ergebnis des Buches von Mecklenburg. Das andere ist die sehr subtile Aufdeckung antisemitischer Diskurselemente im Text der Droste und die Deutung ihrer Funktion. So gewiss es für Mecklenburg ist, dass die Judenbuche „nicht explizit und intentional antisemitisch“ ist (S. 113), so unverkennbar sind für ihn im Text hervortretende „Stereotype des traditionellen christlichen Antisemitismus“ (S. 117) wie z.B. die negative Figurengestaltung der Witwe Aarons, der Wucherjuden, des lumpigen jüdischen Mörders Aarons sowie insgesamt die Namengebung für die jüdischen Figuren. Der -- milde formuliert -- Judenvorbehalt der christlich-katholischen Droste schlägt aber auch in der wertenden Gegenüberstellung von Christentum und Judentum durch, wie er in der Antithese von christlich geprägtem Vorspruch am Erzählanfang und jüdischem Rachespruch am Ende der Erzählung zum Ausdruck kommt. Es sind diese „dem Erzählen selbst eingelagerten antisemitischen Akzente“, die für Mecklenburg „einen bedauerlichen Schatten auf dieses Meisterwerk deutscher Erzählkunst aus dem 19 Jahrhundert werfen.“ (S. 121). Gerade sie sind es, so schließt er, die die „Falle“ der Fehlinterpretation (Mergel sei der Mörder) aufspannen: Da es gar nicht sein kann, dass jüdisch zugespitztes Rachedenken mit dem Schlusswort Recht bekommt, wird der in den Baum geritzte Spruch durch Mergels Selbstmord (in eben diesem Baum) dementiert, weil diese Verzweiflungstat ja nichts mit Aarons Ermordung zu tun hat (die ohnehin nicht unter der ,Judenbuche' stattfand), sondern Folge von Mergels gescheiterten christlichen Reue ist. Man ermisst nun, dass es nicht einfach um einen Streit um Lesarten geht. Man ahnt auch, dass die Droste-Forschung gar nicht erfreut sein wird. Sie wird etwas mehr tun müssen, als diese „Revision“ mit vornehmen Schweigen zu übergehen, wie Mecklenburg erwartet. Dem Droste-Text kann eine Debatte nur nützen. Der Rezensent, für seinen Teil, hat die Judenbuche noch einmal gelesen und ist nachdenklich geworden.
Peter Stein in „Literatur und Recht im Vormärz. Jahrbuch 2009 des Forum Vormärz Forschung“ (2010)
[…] [Mecklenburg's] command of the scholarship is comprehensive […]. Finally, he offers an enviably concise, accurate, and fair-minded overview of the „Jewish Question“ that recently occupied „Judenbuche“ criticism. All in all, Mecklenburg is an astute close reader and a great debunker of cirical nonsense. […]
William Collins Donahue in „German Studies Review“ (33/2, 2010)
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