Gottfried Benn wird in diesem Buch 50 Jahre nach seinem Tod einer grundlegend neuen Betrachtung unterzogen. Ausgehend von seinen autobiographischen Schriften, vor allem mit dem im Jahre 1934 verfassten Lebensweg eines Intellektualisten, wird die Produktionsgeschichte der Bennschen Textgenese von 1910 bis 1956 verfolgt. Dabei steht der Begriff des Dichters im Mittelpunkt, als Selbstzuschreibung aus der Tradition und als Projektion auf die Umwelt. Von dieser Warte aus können die unterschiedlichen Werkphasen Benns mit ihren ebenso unterschiedlichen, aber auseinander hervorgehenden ideellen Ausrichtungen einer Kritik unterzogen werden, die weder der politischen Verdammung noch der artistischen Glorifizierung dieses Autors verfällt.
Die verschiedenen Schreibweisen und Textfiguren, die Benn hervorbringt, werden in der Bioautographie des Bennschen Textes von einander abgehoben und in ihrer historischen wie produktionsgenetischen Notwendigkeit explizit gemacht. Besonderes Interesse ziehen die literarischen Formen auf sich, die bisher in der Benn Forschung eher am Rande betrachtet wurden – wie der Essay, die Briefliteratur und die Parlando-Gedichte der letzten Phase. Benns Auseinandersetzung mit den modernen Medien, vor allem dem Radio, und die Umformung seines metaphysischen Standpunkts als Dichter in der späten Phase zum Phänotyp der Nachmoderne bildet einen wesentlichen Schwerpunkt bei der Darstellung des Spätwerks.
Christian Schärf
Der Unberührbare
Gottfried Benn – Dichter im 20. Jahrhundert
2019 [als Print-Ausgabe: 2006: ISBN 978-3-89528-520-2]
ISBN 978-3-8498-1401-4
E-Book (PDF-Datei), 5 MB
Christian Schärf, Prof. Dr. phil., geb. 1960, ist Hochschuldozent an der Universität Mainz. Seine Arbeitsschwerpunkte: Literarische Schreibforschung, Goethezeit; Essay und Essayismus, Klassische Moderne , Mediengeschichte der Literatur. Bücher (in Auswahl): Goethes Ästhetik. Eine Genealogie der Schrift, 1994; Geschichte des Essays, 1999; Franz Kafka, 2000; Literatur in der Wissensgesellschaft; 2001. Zahlreiche Aufsätze zur neueren deutschen Literaturgeschichte.
In zwölf Kapiteln gelingt es Christian Schärf, Gottfried Benn als den unberührbaren Dichter des 20. Jahrhunderts auf hohem wissenschaftlichem Niveau darzustellen.
Michael Fisch in „Die Berliner Literaturkritik“ (Jg. III, Nr. 7/8, Juli/August 2006)
[...] Die Überstilisierung der Dichtergestalt in einer dem Entwicklungsgedanken fremd gegenüberstehenden radikalästhetischen Kunstmythologie habe zum „Umschlag der Kunst in Hyperpolitik“ geführt, zu dem im Grunde „bestürzend naiven“ Gedanken, die Umwälzung der Verhältnisse von der Seite einer Kunst zu betreiben, die für Benn bis hinein in die Gene, Erbmasse und Substanz wirksam werden sollte. In der Formulierung habe das zwar „die Ränder des Aberwitzes“ deutlich überschritten, dennoch seien Benns Thesen als Reaktion auf die politischen Druckverhältnisse am Ende der Weimarer Republik zu begreifen. [...] Benn tritt als Repräsentant des deutschen Wesens und Unwesens im Verlauf von Christian Schärfs differenzierender Darstellung weitgehend zurück, seine innere Biographie erscheint als Lehrstück der Wirrungen und Abgründe der Produktivität und als „Dokumentation der Verwerfungen und der Hoffnungen des Menschen im zwanzigsten Jahrhundert, der in der Literatur seine ureigene Sphäre sucht und darüber immer erst selbst bestimmen muß, was das sein soll – Literatur“. [...]
Friedmar Apel in „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 28.12.2006
[…] Von der breiteren Öffentlichkeit kaum bemerkt, kam zur gleichen Zeit ein im strengen Sinne literaturanalytisches und zugleich biografisch tief schürfendes Werk heraus, das, bei Lichte besehen, auch das ertragreichste aller hier genannten Bücher ist: Schärfs Studie Der Unberührbare. […]
Wolfgang Emmerich in „Monatshefte“ (3/2008)
[...] ce qui est nouveau et intéressant, c'est que Schärf no voit plus seulement en Benn le Don Quichotte d'une conception plus moderne, marquée par les nouveaux médias et selon laquelle l'auteur travaille comme l'oeil aveugle d'une caméra, ne structurant pas ce qu'il voit. [...]
C. Schmiele in „Études Germaniques“ (Oct-Déc 2007)