»Selbstredend wird ein Mensch von einer Stadt, von einer Landschaft geprägt, sobald er sie wählt. Aber, wählt man denn? Mich zum Beispiel hat mein Schicksal in den fünfziger Jahren nach Paris entführt, ganz wörtlich übrigens. Gewählt habe ich erst, als ich Jahre später entschied zu bleiben. Heute weiß ich abermals mehr: Ich bin letztlich geblieben, weil ich, um das Modewort besten Gewissens zu gebrauchen, mich identifizieren konnte mit dieser Stadt. Weil ich mit ihr gemeinsame Sache mache.
Ein Splitter also aus dem Kaleidoskop der Komplizenschaft, eine Ansicht nur aus einer Reihe wechselnder Bilder, aber die bedeutsamste, weil prägendste aus jenen fünfziger und frühen sechziger Jahren. Es war in Frankreich das Ende einer Epoche, aber wie immer, wir wussten es nicht.«
Die vorliegende Publikation ist weit davon entfernt, eine chronologisch geordnete, homogene, nahtlose Geschichte zu erzählen. Es handelt sich eher um eine Montage ungleicher Momentaufnahmen und sorgfältig gezeichneter Portraits von großen Augenblicken und bescheidenen Erlebnissen, von befreundeten Berühmtheiten, seltsamen Eigenbrödlern oder auch ganz einfachen Leuten. In diesem sehr persönlichen Erinnerungsmosaik erzählt Ruth Henry die Geschichte ihres Lebens.
Ruth Henry
Manchmal sind es nur Bilder
Ein Pariser Leben
2010
ISBN 978-3-89528-801-2
186 Seiten, 58 Abb.
Klappbroschur
Ruth Henry, geboren 1925 in der Pfalz, gestorben 2007 in Paris, war Übersetzerin, Journalistin und Publizistin. Mitte der 50er Jahre ging sie nach Paris und lebte auf dem Montparnasse in Künstlerkreisen. Künstler wie Man Ray, André Breton, dessen surrealistisches Manifest sie ins Deutsche übersetzte, Picasso, Meret Oppenheim oder Unica Zürn kreuzten ihren Weg, mit manchen war sie befreundet, mit anderen hatte sie beruflich zu tun. Das Buch ist ein persönliches Erinnerungsmosaik aus Texten, Portraits und Erinnerungen Ruth Henry's, daß sowohl die Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau erzählt, als auch den Leser mit auf eine Zeitreise ins intellektuelle Paris der 1950er-70er Jahre nimmt.
[...] Sie muss eine sehr faszinierende Person gewesen sein. Wenn man das Buch liest, bedauert man fast, sie nicht kennengelernt zu haben. Ihre Wohnung in Paris war ein Schmelzpunkt, war ein Salon. Man kam vorbei: Es trafen sich Künstler, Intellektuelle, es kamen auch junge Journalisten, junge Theatermacher, junge Filmemacher zu ihr. Man hat sich ausgetauscht. Es muss eine Frau gewesen sein, die bis zu ihrem Tode 2007 von einer unglaublichen Neugierde und Lust auf die Welt und Lust auf die Kultur und Lust auf das Leben geprägt war. [...] [Was sie schrieb] war immer von einem persönlichen Zugang gekennzeichnet, und das macht das Schöne aus. Sie war nicht jemand, der sich in so einer abgehobenen theoretischen Art den Dingen genähert hat, sondern sie hat es gelebt, sie hat es erfahren, sie hat es gefühlt, und sie hat das in diesen Texten auch so transportiert. [...]
Claudia Dichter in „Mosaik, WDR3“ (24.12.2010)
Über diesen Link kann man den Podcast erreichen: http://www.wdr3.de/mosaik/details/artikel/wdr-3-mosaik-ea0098002f.html
Bildband der Woche
Ruth Henry war „französischer als alle Franzosen“, sagen die, die die Journalistin, Publizistin und Übersetzerin kannten. Dabei wurde die Frau, die in der Künstler- und Intellektuellenszene der französischen Hauptstadt so sehr zuhause und mit Picasso, Éluard, Breton und vielen anderen Geistesgrößen befreundet war, 1925 in der Pfalz geboren. [...] Ihre „Pariser Höhle“, so nannte sie ihre Wohnung im „12bis“ gegenüber dem Friedhof Montparnasse, wurde zum Salon der Pariser Kultur-Szene. Ihr Erinnerungsbuch, das Stefanie Baumann arrangiert hat, erzählt in fein gearbeiteten Texten von ihrem Leben, den Künstler-Begegnungen und dokumentiert beides zudem in stimmungsvollen Schwarz-Weiß-Fotos [...].
Stefan Brams in „Neue Westfälische“ (22./23.1.2011)
Ruth Henry war eine Kulturjournalistin, wie sie heute kaum noch denkbar ist. Eine, die mit allen Sinnen lebte, worüber sie schrieb. Das klingt kompliziert, war aber für die junge Deutsche im Paris der Nachkriegszeit so alltäglich wie das Atmen. Denn „das Poetische als Lebens- und Denkform“, so schrieb sie im Rückblick auf ihr bewegtes Leben, lag hier in diesen besonderen Jahren noch in der Luft. Als Gefährtin des Künstlers Maurice Henry kam sie Mitte der Fünfziger nach Paris und blieb. Wohnte ein halbes Jahrhundert in ihrer legendären Atelierwohnung am Boulevard Edgar Quinet und verkehrte von Ionesco bis Picasso mit allen großen Einzelgängern und Unikaten des Pariser Kulturlebens. Ihre Essays, die nun, fünf Jahre nach ihrem Tod gesammelt erscheinen, sind imprägniert vom lebendigen Geist der persönlichen Begegnung, von der elektrisierenden Epoche, die sich so schnell so weit von uns entfernt hat. Behutsamer und warmherziger ist lange kein Zeitalter besichtigt worden.
Iris Radisch in „DIE ZEIT“ ( 24.03.2011)
[...] Der im Aisthesis Verlag erschienene sorgfältig und mit ausgefallenen schwarz-weiß Fotografien besonders schön gestaltete Band „Manchmal sind es nur Bilder. Ein Pariser Leben“ versammelt Rückblicke, Impressionen und Essays der 2007 verstorbenen Ruth Henry, die in ihren letzten Lebensjahren entstanden sind, die sie aber, so die Herausgeberin Stefanie Baumann, seit langer Zeit begleitet haben. Unter den Texten, die in ihrer Abfolge nicht eine „chronologisch geordnete, homogene, nahtlose Geschichte“ erzählen, befinden sich auch leicht geänderte oder ergänzte Beiträge, die sie im Laufe der Jahrzehnte für Zeitschriften, Bücher oder den Rundfunk verfasste. So entsteht ein schillerndes „Erinnerungsmosaik“, das zwischen leicht hingeworfener Momentaufnahme des Großstadtlebens sowie sinnlich-behutsamer Portraitierung befreundeter Künstler oszilliert und in seiner Fragmentierung ganz den in Paris entworfenen Formen der Moderne entspricht. [...] Eine ihrer letzten Notizen dazu lautet: „Für Frauen gibt es das Rollenfach der ‚Komischen Alten‘. Eine Rolle, die gestattet, der Welt eine Nase zu drehen,und die auf die Umwelt provozierend, nicht bloß lächerlich wirken kann. Bewusst geübte Komik im Alter scheint einen harten Kern von Humor vorauszusetzen, aber wenn es gelingt, dann ist das eine große, wohltuende Kraft.“ Emphatisch, heiter, zärtlich erweist sich der Blick sowie die Tonlage dieser außergewöhnlichen Frau bis zum Schluss und lässt uns sehnsuchtsvoll auf diese einzigartige Ära des Pariser Künstlerlebens zurückschauen.
Marion Gees in „Dokumente/Documents“ (3/2011)
Die vollständige Rezension: http://www.dokumente-documents.info/rezensionen/info/manchmal-sind-es-nur-bilder.html?cHash=1d4c79d69a28bee5e90daaaa10ff6ec1
Das im September 2010 erschienene Buch von Ruth Henry wurde in der SWR-Bestenliste für den Monat April 2012 von Caroline Neubaur (Berlin) persönlich empfohlen: „Paris - das ist doch Geschichte, sagen Sie. Mag sein. Aber was und wie es war, erzählt Ihnen Ruth Henry. In dieser Hinsicht eine ältere Schwester von Beate Klarsfeld, traf sie in den frühen 50er Jahren der coup de foudre: ‚Paris, ein Schlüsselwort, ein magisch leuchtender Zweisilber für alle ästhetischen Sehnsüchte unseres so lang frustriert gewesenen Lebensstils in Deutschland.‘ Seitdem umschmeichelte sie mit wunderschönen Fotos und kleinen lettres d’amour die Hauptstadt Frankreichs. Paris ist wieder eine Reise wert - in den Gedanken, in den Erinnerungen, in die Vergangenheit.“ (Caroline Neubaur)