Gibt es einen neuen israelbezogenen Antisemitismus? Wo verläuft die rote Linie zwischen legitimer Kritik an israelischer Politik und Antisemitismus? Wer entscheidet über den Ausschluss aus dem öffentlichen Diskurs und dem deutschen Kultur- und Wissenschaftsbetrieb? Wer richtet über strittige Antisemitismusvorwürfe? Liefert der Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages dazu eine angemessene Grundlage, oder handelt es sich um einen „Weg zur Hölle, der mit guten Vorsätzen gepflastert ist“ (Ofer Waldman), um einen „parlamentarischen Betriebsunfall“ (Stephan Detjen), um eine Neuauflage von „McCarthyismus“ (Micha Brumlik) oder schlicht um politischen „Irrsinn“ (Daniel Cohn-Bendit)?
Der vorliegende Band zeichnet die „Fieberschübe“ im Streitfall Antisemitismus nach und fragt nach den Hintergründen der politischen Kampagne. Der langjährige Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, führt in seinem Vorwort in grundlegende Aspekte des Themas ein.
Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Fundamentalismen aller Art haben weltweit und auch in Deutschland ein bedrohliches Ausmaß erreicht. Antisemitismus ist in diesem gesellschaftlichen Spektrum kein Tabu mehr, sondern bricht sich unverhohlen und auf offener Szene Bahn. Alter Antisemitismus hat eine neue Sichtbarkeit erlangt: Über 90 % aller antisemitischen Übergriffe und Straftaten sind hier zu verorten. Im aktuellen Streitfall Antisemitismus richtet sich der Fokus jedoch nicht darauf, sondern auf eine „Internationale der Israelfeinde“, die von interessierter Seite im linken und linksliberalen Milieu ausgemacht oder als eingewanderter muslimischer Antisemitismus angeprangert wird. Die internationale Zusammenarbeit sogenannter „Israelfreunde“ findet hingegen kaum Beachtung. Mit seinem Beschluss gegen die in Deutschland marginale BDS-Bewegung haben sich der Deutsche Bundestag und mit ihm die Länder und Kommunen, Hochschulen und Gewerkschaften diese Sichtweise zu eigen gemacht. Statt Antisemitismus zu bekämpfen, so die These des vorliegenden Bandes, fördert der Beschluss illiberale Tendenzen, beschädigt die offene Gesellschaft und höhlt elementare demokratische Rechte aus: Spurensuche auf vermintem Gelände.
Karin Wetterau
Neuer Antisemitismus?
Spurensuche in den Abgründen einer politischen Kampagne
Mit einem Vorwort von Wolfgang Benz
AISTHESIS Einwürfe
2020 [als Print-Ausgabe: 2020: ISBN 978-3-8498-1701-5]
ISBN 978-3-8498-1702-2
144 Seiten
E-Book (PDF-Datei), 3,2 MB
Karin Wetterau, Jahrgang 1945, studierte Germanistik und Geschichte an den Universitäten Kiel und Berlin. Sie arbeitete zunächst als Lehrerin in der ErzieherInnen-Ausbildung in Berlin, danach viele Jahre als Lehrerin im Zweiten Bildungsweg und an einem Gymnasium in Bielefeld. Seit Anfang der 1990er Jahre war sie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld als Lehrbeauftragte und als Lehrerin im Hochschuldienst in den Lehramtsstudiengängen Sozialwissenschaften tätig mit den Schwerpunkten Politische Bildung und Geschlechterverhältnisse. Sie lebt in Bielefeld und Italien. Zuletzt erschien von ihr im AISTHESIS VERLAG: 68. Täterkinder und Rebellen. ‚Familienroman‘ einer Revolte (2018).
Prof. em. Dr. Wolfgang Benz lehrte bis 2011 an der TU Berlin, war Direktor für Vorurteils- und Konfliktforschung e. V. und leitete das Zentrum für Antisemitismusforschung. Von ihm liegen zahlreiche Publikationen zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, zum Holocaust und zur Ressentimentforschung vor.
Leseprobe: lp-9783849817015.pdf
Karin Wetterau rekapituliert in ihrem neuen und wichtigen Buch den Streit um die Definition des Begriffs Antisemitismus bzw. die Deutungshoheit über ihn [...] Wetterau sieht im heutigen Streit um den Antisemitismusbegriff Parallelen zu den großen historischen Debatten in der Bundesrepublik wie der Fischer-Kontroverse und dem »Historikerstreit«. Wer die Auseinandersetzungen in den Feuilletons verfolgt, wird Wetterau darin nur zustimmen können.
Matthias Reichelt in „junge Welt“ (Nr. 38, 15. Februar 2021)
Karin Wetterau rekapituliert in ihrem neuen und wichtigen Buch den Streit um die Definition und Deutungshoheit des Begriffs Antisemitismus [...] Wetterau sieht im heutigen Streit um Antisemitismus Parallelen zu den großen historischen Debatten in der Bundesrepublik um die Schuldfrage des Ersten Weltkriegs (Fritz Fischer) und dem Historikerstreit um Ernst Nolte in den 1980er Jahren. Wer die seit vielen Monaten geführten Auseinandersetzungen in den Feuilletons verfolgt, wird Wetterau in der Bewertung nur zustimmen können.
Matthias Reichelt in „Zukunft braucht Erinnerung“ (Online-Portal) (9.4.2021)
AISTHESIS Einwürfe
Aus einer Zoom-Veranstaltung vom 23. März 2021 sind 2 Videos entstanden und bei Weltnetz.tv (YouTube) freigeschaltet: 1. Neuer Antisemitismus? Karin Wetterau im Interview mit Detlef Griesche (38 min) - https://youtu.be/X2ubuM19UNw
2. Karin Wetterau: Neuer Antisemitismus? Vortrag und Diskussion (1h 10min) - https://youtu.be/FcmsECIPXGc