Im „Dritten Reich“ wurden über 500 Schriftsteller und gut 60 Schriftstellerinnen mit einem Literaturpreis ausgezeichnet, viele unter ihnen mehrfach. Derartige Ehrungen sollten die vor allem regimekonforme Dichter fördern und mit Prestige ausstatten sowie die völkische Literaturauffassung in der Öffentlichkeit als die einzig gültige beglaubigen. Neun der im fünften Band der Reihe Dichter für das „Dritte Reich“ präsentierten zehn Schriftsteller waren Preisträger, darunter die 22-jährige Lyrikerin und schwärmerische Nationalsozialistin Elisabeth Effenberger und die junge Romanautorin Annemarie Fromme-Bechem, die sich beide in der NS-Frauenschaft engagierten. Margarete Weinhandl allerdings wurde nicht ausgezeichnet; gleichwohl war sie eine fanatische Parteifunktionärin, die auch zahlreiche politische Schriften verfasste – ähnlich wie Hannes Kremer, hochrangiger Mitarbeiter der Reichspropagandaleitung, der sich als Verfechter des rassischen Vernichtungskampfes gerierte und dessen Prosatexte Auflagen bis zu 330.000 Exemplaren erreichten. Während der Bühnenautor Fritz Helke als „oberster Zensor der Reichsjugendführung“ zu einem der wichtigsten Akteure in der Jugendliteraturpolitik des Regimes avancierte, kämpfte der Sudentendeutsche Bruno Nowak mit seinen Jugendbüchern gegen die, in seinen Augen, minderwertigen slawischen Tschechen. Otto Erler propagierte in seinen vielgespielten Dramen den angeblichen Zusammenhang von Rasse und Religion. Max Stebich hingegen hatte als Dichter zwischen Austrofaschismus und Nationalsozialismus um seine Anerkennung als glaubwürdiger Parteigenosse zu kämpfen, derweil sein Landsmann Karl Schönherr, damals eine Berühmtheit unter den deutschsprachigen Bühnendichtern, mit seinem Schauspiel Die Fahne hoch den „Anschluss“ an das Deutsche Reich feierte und überhaupt – trotz seiner jüdischen Ehefrau – Positionen vertrat, die mit der sozialdarwinistischen Blutsideologie des Regimes kompatibel waren. Der in den 1920er Jahren überaus prominente Schriftsteller und Journalist Hermann Stegemann verließ um die Jahrhundertwende seine rheinisch-moselländische Heimat, ließ sich in der Schweiz naturalisieren und wandelte sich vom nationalliberalen zum völkischen Autor, der im „Dritten Reich“ den Höhepunkt seines publizistischen Erfolges erlebte.
Die Autorinnen und Autoren hatten, sofern sie überlebten, nach dem Krieg keine nachhaltigen Konsequenzen zu gewärtigen; im Gegenteil konnten sie ihr bürgerliches Leben, oft auch ihre literarische Karriere ungehindert, im Einzelfall sogar äußerst erfolgreich fortsetzen – etwa in der Deutschen Akademie für Bildung und Kultur. Der letzte Beitrag dieses Bandes nimmt erstmals diese weithin unbekannte elitäre Suborganisation des rechtsextremen Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes in den Blick.
Rolf Düsterberg (Hg.)
Dichter für das »Dritte Reich«
Band 5
Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie
10 Autorenporträts und eine Skizze über die Deutsche Akademie für Bildung und Kultur
2020 [als Print-Ausgabe: 2020: ISBN 978-3-8498-1536-3]
ISBN 978-3-8498-1537-0
365 Seiten
E-Book (PDF-Datei), 2,6 MB
Leseprobe: lp-9783849815363.pdf
Erfolgreiche Projekte fortzusetzen, ist eine naheliegende Idee – und Rolf Düsterbergs Osnabrücker Kolloquium Biografische Studien zum Verhältnis von Literatur und Ideologie im „Dritten Reich“ ist definitiv ein erfolgreiches Projekt, insbesondere aus hochschuldidaktischer Sicht [...] Für die Auseinandersetzung mit diesen hochproblematischen Forschungsgegenständen hat sich das Format der biografisch orientierten Einzelstudie bewährt. Mit dem vorliegenden fünften Band sind es nun 45 männliche und 8 weibliche Autoren, deren Karriere zur Zeit des Nationalsozialismus (und ggf. darüber hinaus) kritisch nachgezeichnet wird. So werden nicht nur die abstrahierten Aussagen über die Nazi-Literatur, wie sie zum Beispiel in Ralf Schnells unverzichtbarem Standardwerk Dichtung in finsteren Zeiten getroffen werden, an Einzelbeispielen konkretisiert, sondern es werden auch neue Voraussetzungen für künftige Metastudien geschaffen.
Sascha Kiefer in „IFB“ (28 (2020),2[09])
[...] [der Band] bietet Einblicke in die vom NS-Regime geförderten Denkmuster und Verhaltensnormen, in die handelsüblichen ideologischen Versatzstücke, die gegenüber der Literatur gehegten Ansprüche, die Abmahn- und Belohnungssysteme. [...] Soweit sie nicht vor 1945 das Zeitliche gesegnet hatte, gereichten den in Düsterbergs Sammelband gewürdigten Literaten ihr Engagement für den Nationalsozialismus nicht zum Nachteil. Sie wurden ohne größere Probleme entnazifiziert, als Mitläufer eingestuft und konnten unbehelligt weiterarbeiten: als Journalisten für Radio und Printmedien, als Autoren von Jugendbüchern oder als Mitarbeiter im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, zwar ihrer parteiamtlichen Funktionen entkleidet, aber ohne Reibungsverluste sich einordnend in die von den alliierten Siegern geförderte und geforderte demokratische Neuordnung. [...]
Jens Flemming in „literaturkritik.de“ (August 2020) [https://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=27126]