In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts organisiert sich kulturgeschichtliche Forschung europaweit über die Erkundung der Renaissance. Sie gilt als Ursprung der Neuzeit und zugleich als deren zentrale ‚Kulturepoche‘. Die Vorstellung von den oberitalienischen Stadtstaaten als Kunstzentren, von Kraftfeldern der Macht, von ästhetischer Repräsentanz und Sublimation dieser Macht wird nach und nach mit Intentionen aufgeladen, die die Renaissance als Frühgeschichte der Moderne profilieren. Der hier entstehende Renaissancismus-Diskurs hat aber offenbar auch damit zu tun, dass der kulturelle Prozess der Moderne selbst keine zureichende Perspektive mehr darzustellen scheint. Das Vergangenheitsparadigma betrifft insofern eine von der Gegenwart verstellte Zukunft. Innerhalb der vielfältigen Suchbewegungen nach einer genauen Verortung von Modernität macht der Renaissancismus-Diskurs auf Wegverluste und Reduktionen aufmerksam. Dem erlahmenden Fortschrittsoptimismus begegnet er seltsam unirritiert mit historisch deduzierter Produktivität. Am Orientierungsangebot des Renaissancismus kann die Selbstbestimmung von Bürgerlichkeit um 1900 erschlossen werden, inklusive ihrer symbolischen Politik bis ins sichtbare Alltagshandeln hinein. Mit Beiträgen von Thomas Althaus, Matthias Bauer, Claudia Benthien, Markus Fauser, Alexander M. Fischer, Hauke Kuhlmann, Perdita Ladwig, Peter Philipp Riedl und Christian Schienke.
Thomas Althaus / Markus Fauser (Hgg.)
Der Renaissancismus-Diskurs um 1900
Geschichte und ästhetische Praktiken einer Bezugnahme
Philologie und Kulturgeschichte Band 5
2016
ISBN 978-3-8498-1194-5
297 Seiten, Abb.
kartoniert
Leseprobe: lp-9783849811945.pdf
Der Sammelband bietet mithin ein breites Kaleidoskop einer kulturellen Tendenz, die das Renaissancebild bis in das heutige Alltagsbewusstsein entscheidend prägt.
Rolf Füllmann in „Germanistik“ (2019 Band 60 Heft 1-2)
Philologie und Kulturgeschichte Band 5