„Und wie dem Schöpfer seine Schöpfung, nämlich der Mensch, durch die Hybris der Erkenntnis gewissermaßen entglitt, so begann dem Menschen seine Schöpfung zu entgleiten, nämlich die Gesellschafts-, die Staaten-, die Institutionen- und Apparatenwelt. Wie Gott des Menschen nicht mehr Herr zu werden scheint, so wird der Mensch seiner Schöpfung nicht mehr Herr: sie entwickelt eine Eigengesetzlichkeit, die ihn in seiner Freiheit und Existenz bedroht.“ Heinrich Schirmbeck
Lesebuch Heinrich Schirmbeck
Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Rolf Stolz
Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 46
2014
ISBN 978-3-8498-1044-3
163 Seiten
kartoniert
Heinrich Schirmbeck, am 23.2.1915 in Recklinghausen geboren und am 4.7.2005 in Darmstadt gestorben, zu Lebzeiten zeitweise hochberühmt und einige Jahre später fast vergessen, ist für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der bedeutenden deutschen Schriftsteller. Als erster und nahezu einziger stellt er sich den Herausforderungen, die das Nuklearzeitalter und die Revolution der Biologie für den Menschen und die Literatur bereithalten. Als Erzähler und Essayist, als friedenspolitischer Mahner und Vorausdenker ist er von ungeahnter Aktualität.
Lesen wir in Donna Haraways 1990 formuliertem Manifest, die Grenzlinie zwischen Mensch und Maschine sei längst gefallen, bekommen wir eine Vorstellung davon, wie weit Schirmbeck seiner literarischen Zeit voraus war. Sogar die Auflösung der Geschlechteridentitäten sah er bereits im Gang, ohne dass "gender" überhaupt schon anthropologisch-wissenschaftlicher Gegenstand gewesen wäre [...] Festzuhalten ist und als sein Erbe wird bleiben, dass hierzulande alleine er - soweit ich jedenfalls sehe - die mathematischen Wissenschaften als das begriff, was sie für unsere Lebenswelten objektiv sind, und dass es die Literatur schließlich bedeutungslos machen werde, wenn sie sie poetisch ignoriere. Unter den Romandichtern Deutschlands, und zwar beider, hat fast nur Schirmbeck die technischen Kräfte als geradezu wesenhafte beschrieben und beschworen und zwar auch vor ihnen und den auf uns zukommenden Entwicklungen gewarnt, aber die jeder poetischen Zuwendung notwendigerweise eigene erotische, ja sexuelle Ambivalenz von Anziehung und Abstoßung zugelassen. Besonders seine Novellen führen dies beispielhaft vor und schließen eine Lücke, die der Hitlerfaschismus in die Literaturgeschichte hineinbiss, hingegen der Kahlschlag hat sie negativ fetischisiert.
Alban Nikolai Herbst, Schirmbecks Vermächtnis, in "Volltext" 4/2015
Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 46