Der Name war Programm: Um 1910 erprobten Schriftsteller, bildende Künstler und Architekten gemeinsam in Herwarth Waldens Zeitschrift »Der Sturm« den Aufstand gegen den spießbürgerlichen Mief des Wilhelminismus, der wie von einer Naturgewalt hinweggefegt werden sollte. Im »Sturm« erschienen unter anderem die verstörende Prosa Alfred Döblins, die Unruhe verbreitenden Zeichnungen von Oskar Kokoschka oder das begeistert begrüßte Architekturmanifest »Glasarchitektur« von Paul Scheerbart. Aber auch den Brücke-Künstlern, dem Blauen Reiter, den Futuristen, Kubisten, Konstruktivisten und den späteren Bauhaus-Protagonisten boten die Zeitschrift und ab 1912 die Kunstgalerie »Der Sturm« ein Podium. Die Arbeit untersucht erstmalig systematisch den Stellenwert der Architektur im Kulturnetzwerk dieser wirkungsmächtigen Zeitschrift. Sie zeigt auf, wie multilateral die neuen Kunstbewegungen um 1910 insgesamt von Architektur und architektonischen Ideen geprägt waren.
Robert Hodonyi
Herwarth Waldens »Sturm« und die Architektur
Eine Analyse zur Konvergenz der Künste in der Berliner Moderne
Moderne-Studien 6
2010
ISBN 978-3-89528-779-4
490 Seiten, 34 Abb.
kartoniert
Robert Hodonyi, geb. 1977, Dr. phil., lebt als Literaturwissenschaftler und Journalist in Bremen und Dresden.
Leseprobe: lp-9783895287794.pdf
Im Jahr 1910 gründete Herwarth Walden (1878-1941) die Zeitschrift Der Sturm […] Dieses 100-jährige Jubiläum nimmt Robert Hodonyi […] zum aktuellen Aufhänger, um eine Neuperspektivierung des Publikationsorgans einzufordern. Zu Recht akzentuiert er […] die kaum zu überschätzende Bedeutung der Zeitschrift für die Berliner Moderne […]. Bilanzierend bleibt festzuhalten, dass mit Hodonyis Dissertation eine innovative und perspektivenreiche Studie zur enormen Präsenz der Architektur im Sturm vorliegt […] Hodonyi [kann] nicht nur zeigen, dass bereits vor der Bauhaus-Bewegung eine intensive Auseinandersetzung mit der Baukunst stattfand, sondern auch, wie die Architektur in die Kunsttheorien des Sturm integriert wurde. Über sein Thema im engeren Sinne hinaus wirft der Verfasser viele zentrale Fragen zum Verhältnis von Architektur und anderen Künsten auf und bietet überzeugende Antworten, die seine Annahme einer „Architekturalisierung der Künste“ erhärten.
Robert Krause in „Hugo-Ball-Almanch“ (Neue Folge, 2012)
Die vorl. Untersuchung […] führt beispielgebend aus, wie sich die auch in den jüngeren Forschungen zum Expressionismus eher deskriptiv vermittelte „Konvergenz“ der Künste in einem Netzwerk um Herwarth Walden […] materiell und theoretisch begreifen lässt. […] Stilistisch prägnant verfasst, erschließt das Buch Neuland in der Forschungsliteratur zum Expressionismus.
Chryssoula Kambas in „Germanistik“ (2011, Heft 3-4)
[…] Ein nicht zu unterschätzendes Verdienst der Studie Hodonyis liegt sicherlich in dem - u.a. qua Sichtung des Briefwechsels zwischen Herwarth Walden und Karl Kraus geführten - Nachweis, dass die Verflechtungen zwischen Berliner und Wiener Moderne »um 1900« auch personell enger waren, als man es gemeinhin zur Kenntnis genommen hat. Inhaltlich begreift Hodonyi den Berliner »Sturm« gleichsam als Fortsetzung des Wiener »Ver Sacrum«. Dessen Redaktion hatte im ersten Heft 1898 deklariert: »Wir brauchen [...] in erster Linie die notwendigen Kräfte der Zerstörung und Vernichtung. Auf morschem Untergrund kann man nicht bauen [...]. Allerdings hat diese, wie jede aufbauende Tätigkeit, die Wegräumung des Hinderlichen zur Voraussetzung«. Diese Drastik des »Ver Sacrum«-Modernismus stellt der Autor in eine ideengeschichtliche Linie mit der sich im »Sturm« artikulierenden Innovationsprogrammatik: »Auch wenn der Sturm-Kreis der Wiener Secession ablehnend gegenüberstand, wird im Programm von Ver Sacrum ein kairologisches Pathos sichtbar, das mit Tabula-rasa-Szenarien und Architekturmetaphoriken einhergeht, wie sie für die historische Avantgarde im Sturm exemplarisch untersucht worden sind.« Wir fügen hier dieser dichten und kongenialen Beschreibung des Autors lediglich die Anregung hinzu, den Gedanken, die (ästhetische) Moderne sei ein Tabula-rasa-Szenario, ernst zu nehmen. Kann es aber dem im Innersten geschichtlich bestimmten Kulturwesen Mensch dauerhaft zumutbar sein, sein kurzes und beschränktes Leben immer wieder bei einer - von aller Historizität gereinigten - Nullstunde anzufangen?
Franz Siepe in „Portal Kunstgeschichte“ (23.08.2012)
Zur vollständigen Rezension: http://www.portalkunstgeschichte.de/buch_medien/?id=5222
Moderne-Studien 6
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