Die vorliegende Untersuchung geht von der These aus, daß die Protagonisten von Bildungsromanen nicht einfach einen natürlichen Wachstumsprozeß durchlaufen, sondern daß sie sich ihrer problematischen Situation als Suchende und Werdende auch ausdrücklich bewußt sein müssen. Dies manifestiert sich in immer neuen Ansätzen zu selbstkritischer Ortsbestimmung und zu bilanzierenden Rückblicken auf ihre Erfahrungen. Die hier wirksame Neigung zur Reflexion unterscheidet Figuren wie Wilhelm Meister oder Hans Castorp von den Helden der Abenteuerromane oder der pikaresken Erzählwerke und wird zu einem charakteristischen Zug der Gattung Bildungsroman. Diese Beobachtung wird an einer Reihe prominenter Beispiele von Wielands Agathon bis zu Robert Menasses Selige Zeiten belegt.
Jürgen Jacobs
Zwischenbilanzen des Lebens
Zu einem Grundmuster des Bildungsromans
AISTHESIS Essay Bd. 20
2005
ISBN 978-3-89528-468-7
67 Seiten
kartoniert
Jürgen Jacobs, Jahrgang 1936, hat an den Universitäten Köln, Bonn und Wuppertal Neuere Deutsche Literaturgeschichte gelehrt. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Literatur der Aufklärung und der Moderne sowie Geschichte und Theorie der literarischen Gattungen. Seit 1998 ist er ordentliches Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften.
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